„Seit wann müssen Cops das Gesetz befolgen“, fragt Frank Drebin Jr. (Liam Neeson) in Akiva Schaffers „Die nackte Kanone“ bei einer Feier, die seine Kollegen für ihn veranstalten, weil er im Polizeidienst seinen 100. Bösewicht eingelocht hat. Einige Missetäter sind wohl dabei eher unverschuldet in Gewahrsam genommen, möglicherweise auch nicht stets gesetzeskonform behandelt worden. Aber wer sollte Drebin dafür schon festnehmen? „Andere Cops etwa?“ Bei seiner letzten Festnahme habe er wahrscheinlich etwas überreagiert, gibt er zu, aber er habe wieder diese Wut gespürt, die ihn seit 20 Jahren überkommt, wenn er an den skandalösen Nipplegate-Vorfall mit Janet Jackson beim Super Bowl 2004 denkt.
Zur Genüge bekannt ist dieser Pointen so rasant ausspielende Ton, als sei jeder aufeinanderfolgende Gag die naheliegendste Reaktion, aus dem „Nackte Kanone“-Franchise von Jim Abrahams mit den Brüdern David und Jerry Zucker. Gemeinsam gaben sie unter dem markentauglichen Kürzel ZAZ ab den späten 1970er-Jahren für gut anderthalb Jahrzehnte die Richtung amerikanischer Mainstreamkomödien vor: aus kleinformatigen Sketchen zusammengesetzte Filme, die durch visuelle Gags und Wortspiele, widersinnige Blödeleien und popkulturelle Referenzen sich am reichhaltigen Genre-Bestand Hollywoods schadlos hielten. Alles wurde zur Vorlage für Witze, nichts behielt ein seriöses Gewicht.
Vom Katastrophenkino in „Die unglaubliche Reise in einem verrückten Flugzeug“ hin zu Kriegsfilmen in „Top Secret!“ etablierten sie so einen karikierenden Komödiensound, der bis heute als Standard für filmische Parodien gilt. Mit dem von Leslie Nielsen gespielten Polizeiermittler Frank Drebin schufen sie dabei auch eine Figur, die weit über seinen Einsatz in einer Serie und drei aufeinanderfolgenden Filmen hinaus zitiert und variiert wurde. Längst gilt sie als bekanntere filmische Verkörperung von Polizeiarbeit als die Fahnder und Detektive populärer Fernsehserien, die der „Nackten Kanone“ einstmals als willkommenes Vorbild dienten.
Liam mit Lutscher
Der Regisseur Akiva Schaffer ist einer der gelehrigsten Schüler dieser Komödientradition, die er bislang am effektivsten ins 21. Jahrhundert übertragen hat: Mit dem Comedy-Ensemble „The Lonely Island“ (zu dem auch der Schauspieler Andy Samberg gehört) prägte er in den Nullerjahren das Format digitaler Sketche, kurzer, musikzentrierter Comedy-Miniaturen wie das durch Justin Timberlake popularisierte „Dick In A Box“, die nicht mehr den Umweg über Fernsehübertragungen oder Filmauswertungen gehen mussten, sondern direkt auf Portalen wie YouTube bekannt wurden. Geübt ist Schaffer dadurch in der variantenreichen Parodierung von Genres in Kurzfilmform und somit ein idealer Filmemacher für eine Wiederauflage der „Nackten Kanone“.
Wenn zu Beginn Liam Neeson einen Banküberfall vereitelt, scheint der Film die gewohnte Geschwindigkeit und den überbordenden Ideenreichtum der Reihe geradezu übertrumpfen zu wollen: Verkleidet als kleines Mädchen mit Zöpfen und überdimensioniertem Lutscher, der umgehend zur Waffe umgerüstet wird, verspeist Neeson die Pistolen der Bankräuber, als seien sie Süßkram, schießt aus seinem Finger mit Kugeln und schmeißt Menschen um, als wären sie Kegel. Entwendet wird beim Raub ein elektronischer Kasten, dessen Inschrift „P.L.O.T. Device“ lautet – die im Englischen gängige Bezeichnung für ein Handlungselement, das eine Geschichte in Bewegung setzt.
In den Händen des Tech-Moguls Richard Cane (Danny Huston) und seines Unternehmens Edentech soll das Gerät bei der in Kürze anstehenden Neujahrsfeier über Radiowellen eine Frequenz im Gehirn torpedieren, durch die Menschen geistig in den Zustand wilder Tiere zurückversetzt werden. Wer genügend Geld zahlt, kann mit Cane zusammen in einem unterirdischen Bunkerkomplex weiterleben.
Pamela Anderson glänzt
Als Legacy-Sequel, eine spät nachgereichte Fortsetzung also, die sich auf neue Figuren stützt, beherzigt „Die nackte Kanone“ dabei die wichtigste Regel typischer ZAZ-Produktionen: Schauspieler in tragenden Rollen zu besetzen, die in der popkulturellen Wahrnehmung noch kaum als Komödiendarsteller gesetzt sind. Und sie so spielen zu lassen, als würden sie als Einzige scheinbar nicht wissen, dass sie permanent Pointen erzeugen. Obwohl Liam Neeson über die Jahre immer wieder komödiantische Figuren unterschiedlichen Ausmaßes übernahm (zuletzt in „A Million Ways to Die in the West“ von „Nackte Kanone“-Produzent Seth MacFarlane), galt er bislang eher als ein Oscar-prämierter Dramenschauspieler, der im zunehmenden Alter auf Rollen in mittelbudgetierten Actionfilmen umschwenkte.
Sein Ansatz, Drebin zu spielen, unterscheidet sich dabei deutlich von dem seines Vorgängers: Nielsen gab den Ermittelnden als genügsam-unbeschwerten Tollpatsch, der entspannt an den Katastrophen, die er hervorruft, unbeteiligt bleibt und dem sich allenfalls Anzeichen ungläubigen Erstaunens in kurzzeitig weit aufgerissenen Augen und seitlich verzogenem Mundwinkel einschreiben. Neeson hingegen ist beherrscht von einer unterschwelligen Wut und Angespanntheit, die sich in indigniert zur Nase neigenden Augenbrauen und einer kehligen Stimme, die er zwischen den Lippen herauspresst, äußert.
Auch Pamela Anderson, die seit „The Lost Showgirl“ erfolgreich an einer Umkodierung ihres Images arbeitet, glänzt in ihrer Rolle: Sie spielt eine Autorin von True-Crime-Romanen, die sie sich gleichwohl ausgedacht hat, und ermittelt gemeinsam mit Drebin: in einem Nachtclub, in dem sie durch exaltierten Jazz-Scat-Gesang auf sich aufmerksam machen muss, oder in einer Holzhütte, wo das Paar von einem eifersüchtigen Schneemann attackiert wird. Wesentlich für den Humor ist dabei die Konzentration auf Ton und Klischees anderer Filme, weniger der konkret erkennbare Verweis, wie er einstmals in „Die nackte Kanone 33 ⅓“ zu einer arg schwerfälligen Abfolge von Referenzen auf populäre Filmszenen führte. Schaffers Bezug auf die Reihe ist dabei ein rein formaler: Manches emuliert er penibel, anderes, wie den Einbezug realer politischer Persönlichkeiten, verwirft er wieder.
„Ich will wie du sein, aber auch neu und anders“
Anders als zahlreiche spät nachgereichte Fortsetzungen der letzten Jahre bedarf seine „Nackte Kanone“ dabei kaum des Rückgriffs auf die ikonischen Figuren des Franchises. Vor einem Bild von Leslie Nielsen, das in einer Ahnengalerie im Polizeipräsidium hängt, kniet sich Drebin Jr. in einer Szene hin und spricht zur Vaterfigur: „Ich will wie du sein, aber auch neu und anders.“ Darin formuliert sich ironisch ein Grundbedürfnis des zeitgenössischen amerikanischen Blockbuster-Kinos, das sich nicht mehr lösen kann von jahrzehntealten Vorlagen, diese Abhängigkeit aber stets wieder als neu aufbereitete Sensationen verkaufen möchte.
Als Sommer-Blockbuster füllt der Film gleichwohl auch eine momentane Lücke: Seit Jahren sind amerikanische Komödien, einstmals eine verlässliche Konstante der Hollywood-Genre-Produktion, weitestgehend aus dem Kino verschwunden und ins Tagesgeschäft von Streamingdiensten abgewandert, wo sie mit niedrigeren Budgets und ohne nennenswerte Starbesetzung kaum Buzz erzeugen können. Vereinzelte Reanimierungsversuche von Subgenres, sei es eine Sexkomödie wie „No Hard Feelings“ oder die Action-Comedy „The Fall Guy“, erwiesen sich zuletzt hingegen als kommerziell kaum tragbar.
Es verwundert somit nicht, dass „Die nackte Kanone“ in Bezug auf Tempo und Gag-Dichte geradezu überzukompensieren scheint, atemlose 85 Minuten lang Witz auf Witz schichtet, als gelte es Rechtfertigungen für die eigene Existenz zu liefern. Wenn am Ende aber selbst die Abspann-Credits noch gefüllt sind mit Sehtests und einer Aufzählung der gängigsten Netflix-Passwörter, ist diese Beweisführung in eigener Sache abgeschlossen. Und vollkommen gelungen.
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