Tarun Nayar steht im Restaurant des Kräuterhotels Edelweiss auf der Rigi, wolkenverhangenes Bergpanorama im Rücken. Vor ihm: ein Tisch mit Synthesizer, Technik-Equipment, Kabelsalat und frischem Gemüse: Sellerie, Pilze, Auberginen, Tomaten, Kartoffeln – seine Instrumente. «Ich verkabele jetzt den Sellerie», sagt er. Aus den Boxen kommt eine scheinbar willkürliche Tonfolge. Bewunderndes Raunen im Raum.

Das Geheimnis hinter seiner Pflanzenmusik: Bioelektrizität. Schon seit den 1970er-Jahren experimentieren Künstlerinnen und Künstler damit. Lebende Zellen und Gewebe erzeugen elektrische Spannungen, viele Lebensprozesse werden von elektrischen Impulsen gesteuert. Nayar, Musiker und Biologe, misst diese Aktivität mit Sensoren und wandelt sie in musikalische Informationen um. Sein Synthesizer spuckt sie aus, in Form von Klängen, die Nayar weiterverarbeitet.
Pflanzenmusik meets Sterneküche
Auf der Rigi trifft seine Pflanzenmusik auf die Sterneküche von Küchenchef Benedikt Voss. Rund 40 Menschen sitzen an drei Tafeln in der urchigen Gaststube. Manche in Stilettos, andere in Zipper-Wanderhosen, ich irgendwo dazwischen. Auf dem Menü stehen fünf Gänge, alles vegi, alles regional. Nayar vertont sie live, mit den jeweiligen Zutaten. Der erste Gang: eine längs halbierte Kartoffel, darauf – kunstvoll drapiert – Scheibchen vom Stangensellerie und blaue Kartoffelchips, darüber Sellerie-Öl.

Während wir essen, jammt Nayar mit Kartoffel und Sellerie. Sphärische Ambient-Musik füllt den Raum. Wer will, setzt Kopfhörer auf, um in die Welt von Klängen und Geschmäckern einzutauchen. Der erste Gang schmeckt frisch, würzig, buttrig-weich. Selten habe ich so bewusst gegessen. Najars Performance fühlt sich an wie eine Meditation. «Spürt euren Atem, euren Körper», sagt er in Yoga-Manier.
Virale Pilze
Das Spirituelle mal beiseite; dass Klänge den Geschmackssinn beeinflussen, ist wissenschaftlich erwiesen. Noch vor dem Menü testen wir das mit «Randen-Trockenfleisch». Die erste Scheibe schmeckt tatsächlich überraschend fleischig, umami. Während wir die zweite Scheibe essen, spielt Nayar einen hohen Ton ein. Sie erscheint mir nun deutlich süsser. Dass hohe Frequenzen süsse Noten verstärken, sagt auch die Forschung.
Tarun Nayar will diese Zusammenhänge erkunden. Er veranstaltet exklusive Dinners mit Pflanzenmusik. 300 Franken zahlt man auf der Rigi für das kulinarisch-musikalische Gesamtkunstwerk. Dem breiten Publikum macht Nayar seine Pflanzenmusik auf Social Media zugänglich. «Modern Biology» nennt er sich dort. Auf Tiktok hat sein viralster Clip – Fliegenpilz-Musik – über 27 Millionen Views. «Ich will die Menschen wieder mit der Natur verbinden», sagt Nayar. Mit Musik gehe das besser als mit Worten.
Im Restaurant des Kräuterhotels folgen auf das Kunstwerk aus Sellerie und Kartoffel noch vier Gänge. Nayar wird unter anderem Kohlrabi, Lauch und Auberginen verkabeln – und eine Sauerteig-Kultur. Ich selbst muss nach der Vorspeise gehen; die Zahnradbahn ruft. Schade, denn auf den Pilz-Musik-Gang hatte ich mich besonders gefreut. Zwei grosse Parasol-Pilze stehen dafür schon auf Nayars Tisch, seine neuen Lieblings-Jam-Partner, wie er sagt. Er hat sie auf der Rigi gesammelt.
Ein paar Tage später checke ich sein Tiktok: Und siehe da, ein neues Video, mit eben diesen Parasol-Pilzen. Das passende Geschmackserlebnis muss ich mir dazudenken.
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