Sie ist die letzte ihrer Art und, wenn man es genau nimmt, vielleicht sogar die einzige. „Stellt man sich Hollywood als eine Art Königsfamilie vor, dann wäre sie sicher unsere Kronprinzessin“, sagte Fred Astaire 1976 in dem Dokumentarfilm „Das gibt’s nie wieder“ über Liza Minnelli. Ihr Vater war Vincente Minnelli (1903–1986), Oscar-Gewinner, Musicalfilm-Erneuerer und Regisseur von unverwüstlichen Klassikern wie „Heimweh nach St. Louis“ (1944), „Ein Amerikaner in Paris“ (1951) und „Gigi“ (1958).

Und ihre Mutter, die große Judy Garland (1922–1969), die als Teenager die Rolle der Dorothy in „Der Zauberer von Oz“ (1939) übernahm und darin vom wunderbaren Land hinter dem Regenbogen sang. Garland war eine Showbiz-Allzweckwaffe, ein Star auf der Leinwand, auf der Bühne und im TV, und sollte mit ihrem Livealbum „Judy at Carnegie Hall“ im Jahr 1961 sämtliche bis dahin bekannten Verkaufsrekorde brechen.

Erbin einer Hollywood-Dynastie

Als Liza Minnelli im März 1946 auf die Welt kam, war sie dank ihrer Eltern ab Tag eins berühmt. „Aber es waren ja alle berühmt in Hollywood“, hat Minnelli oft über diesen Umstand gesagt. „Jedes Kind hatte berühmte Eltern, für mich war das ganz normal.“ Das kann man so sehen, aber im landläufigen Sinne „normal“ war im Leben von Minnelli selbstverständlich nichts, wie der Dokumentarfilm „Liza Minnelli, Erbin einer Hollywood-Dynastie“ von Lucie Cariès eindrucksvoll zeigt. Es ist ein spektakuläres, schillerndes und aufregendes Leben, über das man wahrscheinlich froh ist, es nicht selbst führen zu müssen.

Nun hatten auch andere Stars aus der goldenen Ära Hollywoods Kinder, die in ihre Fußstapfen getreten sind, man denke etwa an Jamie Lee Curtis, Tochter von Tony Curtis (1925–2010) und Janet Leigh (1927–2004), oder Michael Douglas, Sohn von Kirk (1916–2020) und Diana Douglas (1923–2015).

Doch bei Liza Minnelli ist der Fall insofern anders gelagert, als dass sich ihr Werdegang mitunter auf verblüffende wie beunruhigende Weise in dem ihrer Mutter spiegelt. Das fängt bereits in der Kindheit an: Schon Judy Garland stand von klein auf im Rampenlicht und wurde von ihrer Mutter Ethel Marion Milne (1893–1953) – einer laut Garland garstigen und zudem vollkommen talentlosen Varietékünstlerin – wiederum über zweifelhafte Kleinkunstbühnen gescheucht. Sie war erst sechs Jahre alt, als sie mit ihren zwei älteren Schwestern unter dem Namen Gumm Sisters mit Gesangs- und Tanzdarbietungen auftrat, in der Hoffnung, jemand möge sie für eine große Karriere entdecken.

1935 war es endlich so weit, das Filmstudio MGM nahm Judy Garland unter Vertrag – sie war zu dem Zeitpunkt 13 Jahre jung. Das Problem dabei: Sie war bereits zu alt für eine typische Kinderstar-Karriere und mit 1,51 Meter Größe zu klein für eine Rolle als Erwachsene. Und sie galt auch als zu mollig, weshalb man ihr Diätpillen verabreichte. Außerdem bekam sie zusätzlich Amphetamine, damit sie von der konstanten Filmerei nicht müde wurde. Aber weil sie wegen der Aufputschmittel auch nicht mehr zur Ruhe kam, gab es für das Mädchen abends Schlaftabletten, gewissermaßen zum Dessert.

Bereits als Teenager wurde Garland von ihrem Arbeitgeber in die Medikamentenabhängigkeit getrieben. „Kindheit“, sagte sie später einmal, „Kindheit ist etwas, wovon man sich nie erholt.“ Vielleicht konnte Garland sich auch deswegen nie von ihrer Kindheit erholen, weil sie trotz fünf Ehen und drei Kindern nie wirklich erwachsen wurde.

Als ihre älteste Tochter war Liza Minnelli von Anfang an mit ihrer Mutter am Set, erst als eine Art Spielzeug, wie in ihrem ersten puppenhaften Filmauftritt im Alter von drei Jahren in „Damals im Sommer“ (1949). Später sollte Minnelli dann die Funktion als Garlands beste Freundin erfüllen; und als deren Sucht sich in immer stärkeren Stimmungswechseln niederschlug, die Minnelli mit einer Mischung aus Einfühlungsvermögen, Verständnis und Vernunft abzufedern versuchte, hatten sie ihre Mutter- und Tochter-Rollen quasi getauscht.

Dass bald noch eine weitere Rolle hinzukommen sollte, zeigt derzeit eine ARTE-Dokumentation anhand eines wunderbaren Ausschnitts von einem Konzert im Londoner Palladium. Er spielt im Jahr 1965, Minnelli hat bereits eine eigene, kleine Karriere am Broadway, und Garland will dem britischen Publikum ihre Tochter als hoffnungsvolles Nachwuchstalent präsentieren. Also bittet Garland sie auf die Bühne.

Minnelli beginnt zu singen, erst ein Lied, dann ein zweites und drittes. Und als das Publikum davon nicht genug bekommen kann, erlebt man, wie Minnelli in Garland nicht nur Stolz auslöst, sondern auch das diffuse Gefühl von Bedrohung. Minnelli ist jetzt außerdem ihre Konkurrentin.

Tatsächlich wird sich auch Liza Minnelli wie ihre Mutter zu einer Allzweckwaffe entwickeln. 1965 erhält sie für die Hauptrolle in ihrem Broadway-Debüt „Flora the Red Menace“ ihren ersten von insgesamt vier Tonys. 1973 bekommt sie den Oscar für ihre Rolle als Sally Bowles in „Cabaret“ (1972) und noch im selben Jahr den Fernsehpreis Emmy für ihr TV-Programm „Liza with a Z“.

Als man ihr 1990 ehrenhalber auch noch einen Grammy überreicht – im Jahr zuvor hatte sie mit Unterstützung der Pet Shop Boys das großartige Album „Results“ veröffentlicht –, hatte sie alle wichtigen Showbusiness-Auszeichnungen komplett und gehört seitdem zum überschaubaren Zirkel der EGOT-Preisträger, also jener Künstler, die in den Bereichen Film, Fernsehen, Musik und Bühne gleichermaßen glänzen.

Judy Garland sollte von dem überwältigenden Erfolg ihrer Tochter jedoch nur die Anfänge erleben. Im Juni 1969 fand man sie in ihrem Haus in London tot auf, sie wurde nur 47 Jahre alt. Als Todesursache wurde eine unsachgemäße Einnahme von Barbituraten festgestellt, einem heute nicht mehr zugelassenen Schlafmittel.

Einen Suizid schloss der Gerichtsmediziner aus; und Minnelli begegnete entsprechenden Gerüchten mit dem Einwand, dass eine gezielte Überdosis auch nicht Garlands Stil und ihrer Rolle als Hollywood-Diva entsprochen hätte. Sie hatte ihr Leben lang trotz aller Widernisse und gravierender psychischer Probleme stets die Fassade eines sorglos strahlenden Stars bewahrt – warum hätte sie also im Moment des Abgangs damit aufhören sollen?

Eine andere Frage lautet: Wie glücklich und zufrieden darf man sich eigentlich Liza Minnelli vorstellen? Bei einem Interviewtermin im Jahr 2009 wirkte das Auftreten der damals 63-Jährigen zumindest alles andere als kapriziös. Weil das Treffen kurzfristig von New York nach Berlin verlegt worden war, entschuldigte sie sich beim Interviewer – und fiel ihm unmittelbar um den Hals. „Verzeihen Sie, dass ich meine Wimpern nicht trage“, sagte Minnelli danach, „ich habe es heute mit den Augen.“ Dabei strahlte sie eine offensive Fröhlichkeit aus, als hätte sie die quirlige Energie der Sally ­Bowles geradezu verinnerlicht.

Vier Ehen, zwei künstliche Hüften

Das Tingeltangel-Mädchen, das Minnelli in ihrer berühmtesten Rolle in „Cabaret“ verkörperte, sang, tanzte und feierte im Berlin der frühen 1930er-Jahre über die nationalsozialistische Gefahr stur hinweg: „Das Leben ist ein Cabaret, alter Kumpel, los, komm ins Cabaret!“ Und konnte man nicht auch sagen, dass Minnelli sich gegenüber allen Schicksalsschlägen und Misserfolgen behauptete, indem sie sie einfach ignorierte?

Minnelli hatte zum Zeitpunkt des Interviews bereits vier gescheiterte Ehen erfolgreich hinter sich gebracht, war Besitzerin von zwei künstlichen Hüften sowie einem verdrahteten Knie. An die Skoliose, also die krankhafte Fehlbildung ihrer Wirbelsäule, hatte sie sich nach eigenen Angaben mit der Zeit gewöhnt, und auch die Alkohol- und Medikamentensucht, mit der sie sich seit den 1970er-Jahren herumschlagen musste, hatte sie inzwischen im Griff. „Man darf nie vergessen, dass man eine Wahl hat“, sagte sie. „Und die Wahl besteht darin, zu entscheiden, ob das Glas halb leer oder halb voll ist.“ Beim anschließenden Konzert am Abend zeigte sie dann, dass sie in Bestform war.

Da tat es auch nichts zur Sache, dass sich ihre Filmkarriere nach „Cabaret“ nicht ganz so glänzend fortsetzte, wie sie angefangen hatte. Als Martin Scorsese ihr etwa 1977 an der Seite von Robert De Niro die Hauptrolle in „New York, New York“ gab, fiel der Film zwar an der Kinokasse durch, aber immerhin sprang der Song „New York, New York“ dabei heraus. Wie bereits jene beiden Broadway-Musicals und ein Teil ihres Lied-Repertoires hatte ihn das altbewährte Songwriter-Duo John Kander und Fred Ebb für sie geschrieben. In der Interpretation von Frank Sinatra sollte der Titel bald darauf weltberühmt werden.

Ihr Comeback-Album mit den Pet Shop Boys konnte zwar beim Publikum nicht landen, aber dafür hatte sie mit der Singleauskopplung „Losing My Mind“ im Jahr 1989 einen Hit und damit kurz ein jüngeres Publikum erreicht. Und auch die Serie „Arrested Development“ über eine herausragend dysfunktionale Maklerdynastie, die 2003 auf Sendung ging, blieb hinter den Erwartungen zurück; aber vielleicht handelt es sich ja um eine Sitcom, die die Öffentlichkeit erst in Zukunft entdecken wird.

Liza Minnelli wurde im Stahlbad der Unterhaltungsindustrie groß, sie wurde beobachtet, bewundert und beurteilt und scheint dabei souverän über den Dingen zu stehen. „Lass die Leute nur reden, kauf dir lieber einen Hamburger“, soll ihre Patentante, die Sängerin, Schauspielerin und Autorin Kay Thompson (1909–1998), ihr einst als klugen Rat mit auf den Weg gegeben haben. Wie es aussieht, hat Minnelli sich stets, so gut es eben ging, daran gehalten.

Die Dokumentation „Liza Minnelli, Erbin einer Hollywood-Dynastie“ wird auf ARTE am 27. Juli um 22 Uhr gezeigt. In der Mediathek ist sie verfügbar bis zum 24. Oktober 2025

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