In ihrem Podcast „hyped – Politik bis Popkultur“ unterhalten sich Imke Rabiega und Julian Theilen über Trends und aktuelle Debatten. Das folgende Transkript ist eine gekürzte Version der Podcastfolge „Wie die Lieferkette von Schoko-Croissants zum Internet-Hype wurde“.

Imke Rabiega: Ein Thema, das uns schon seit zwei Wochen umtreibt, ist der plötzliche Hype auf Social-Media um Schokocroissants von Lidl und anderen Discountern.

Julian Theilen: Wir haben ein bisschen gebraucht, um das Thema zu verstehen und uns dem anzunähern. Aber jetzt ist es uns gelungen.

Imke: TikTok-User haben das Phänomen auf ironische Art und Weise aufgegriffen, dass in deutschen Discountern oft schon ganz früh morgens das Nuss-Nougat-Croissant ausverkauft ist. Und während die einen sich dafür sogar morgens schon in die Schlange stellen würden, macht sich die andere Hälfte in den Kommentaren darüber lustig, dass Leute ernsthaft so krass auf diese billige Massenware geiern.

Julian: Das Ganze wurde dann auch zu einem Selbstläufer. Das Nuss-Nougat-Croissant wurde zum Trendfood. An immer mehr Standorten in Deutschland – das ist das Verrückte –, ist das Schokocroissant jetzt ausverkauft.

Imke: Die Supermarkt-Mitarbeiter werden in den Kommentaren übrigens als Helden ohne Capes bezeichnet. Also man sieht schon, da entspinnt sich ein ganzes Universum rund um dieses Croissant. Und überhaupt hat der Trend so eine recht lustige Eigendynamik angenommen. So wird zum Beispiel die ganze Lieferkette hinter den Schokocroissants, bis sie im Laden landen, durchgespielt. Das klingt dann so:

Video-Aufnahme: Weil es den Boom gibt, werde ich euch vorstellen, welche Lieferketten-Schritte ich alle miterleben durfte. Als Erstes wurde mir gezeigt, wie die Motoren für die Fließbänder hergestellt werden. Dann wurde mir noch gezeigt, wie Milch gemolken wird. Dann, wie die Backwarentheken gebaut werden. Dann die Werkzeuge, mit denen man all diese Maschinen herstellt. Natürlich müssen auch die Öfen gebaut werden. Es muss auch das Holz abgeholzt werden für die Kartons, in die die Schokocroissants hineinkommen.

Imke: Es ist wirklich kreativ und führt natürlich auch oft ins Absurde, wie unsere Lebensmittelproduktion funktioniert.

Julian: Die Leute, die an der Lieferkette beteiligt sein sollen, werden in dem Trend auch als „der frühe Vogel“ bezeichnet. Erst mal klingt das nach einer humorvollen Dynamik eines Internet-Jokes. Aber es geht dabei auch um die Auseinandersetzung mit Klasse. Das Croissant und Filterkaffee für einen Euro sind etwas, was wir eher mit dem Arbeitermilieu verknüpfen, das frühmorgens aufstehen muss.

Imke: Ich denke dabei auch an Frühschicht. Ich weiß noch, als ich damals bei Volkswagen in der Produktion gejobbt habe, habe ich mir auch immer morgens Franzbrötchen und Filterkaffee geholt.

Julian: Nee, das Franzbrötchen lasse ich nicht gelten als Arbeiteressen. Damit hast du dich entlarvt, dass du eigentlich nicht dazu gehört hast. Nein, das muss schon das Schoko-Nougat-Croissant und der 1-Euro-Kaffee sein. Trotzdem, abgesehen davon ist das Croissant unter Foodies ja an sich ein neu belebtes Gebäck, oder?

Imke: In den letzten Jahren waren sie vor allem das Beiwerk oder das Teilchen neben teuren Cappuccinos mit Hafermilch oder Matcha Lattes auf ästhetischen Insta-Bildern in monochromen, urbanen Cafés. Es gab Croissants in Riesengröße oder mit Pistazie gefüllt. Oder diese schwarzen Aktivkohle-Croissants. Es war eher ein gehobenes Statement. Das wurde jetzt komplett umgekehrt und es geht um das Gegenteil. Die Ästhetisierung des bodenständigen Normalos, der einfach an der Backtheke kauft, sich darüber freut und sich was gönnt, was andere belächeln.

Julian: Diese Ironie, mit der der Trend spielt, zeigt, dass sich die Nuss-Nugat-Fans nicht klein machen lassen, sondern diesen Lifestyle mit Stolz leben und sagen: So ist das Leben und das ist gut so. Finde ich irgendwie charmant.

Imke: Aufregend ist, wenn man sieht, welche Konsequenzen die Trends im echten Leben haben. In diesem Fall, wie sich eine Schlange an der Backwarentheke bei irgendeinem Lidl in irgendeinem Kaff bildet.

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