Aus der Sicht eines Kardiologen kann vor dem Kino eigentlich nur gewarnt werden. Menschen sitzen da stundenlang mehr oder weniger bewegungslos mit fettigem Essen und in der Regel nicht gerade ihrer Gesundheit zuträglichen Getränken im Dunkeln herum. Und während sie Nachos und Bier zu sich nehmen wird ihr eigentliches Zentralorgan von dem, was da über die Leinwand läuft, einem extremen Belastungstest ausgesetzt – nicht das Gehirn ist gemeint, zu dem kommen wir später. Das Herz.
Man möchte gar nicht wissen, wie viele nah am Herzinfarkt gebaute Menschen beispielsweise in den vergangenen 32 Jahren durch unter infernalischem Orchestergetöse urplötzlich aus irgendeinem harmlos aussehenden tropischen Unterholz hervorbrechende Dinosaurier zu Tode erschreckt wurden.
Man könnte jedenfalls die nicht sehr überraschende Grundidee von „Jurassic World – Die Wiedergeburt“ beinahe für einen Akt der Reue halten. Die geht nämlich so: Um die Menschheit von der Geisel der Infarkte zu befreien, Kardiologen arbeitslos zu machen und Defibrillatorenhersteller in den Ruin zu treiben, plant ein Pharmagigant mithilfe des Genmaterials jener Dinosaurier mit den größten Herzen ein alle kardiovaskulären Krankheiten heilendes Medikament herzustellen.
Was ja prinzipiell eine gute Sache ist. Und machbar scheint, weil es Dinosaurier – zumindest im Kino – ja gibt in der Welt. Seit 1993 in dem vom Kinofantasten Steven Spielberg und dem Wissenschaftsthrillerfantasten Michael Crichton ausbaldowerten Genmanipulationfolgenforschungshorrorfilm „Jurassic Park“ Urweltriesen im Reagenzglas rekonstruiert wurden und sich leider als genau die unbeherrschbaren Anarchisten herausstellten, vor denen Paläontologen die Betreiber des „Jurassic Park“ immer gewarnt hatten.
In insgesamt sechs Filmen hat das Dino-Franchise bis heute sechs Milliarden Dollar eingespielt und sich nicht zuletzt durch Merchandisingprodukte aller Art unsterblich gemacht im globalen popkulturellen Gedächtnis. Seit fünf Jahren – seit „Jurassic World – Ein neues Zeitalter“ – galt allerdings die Geschichte von den Giganten des Mesozoikums und wie sie in der Welt sind und mit den Menschen koexistieren, die sie wiederbelebten, Millionen Jahre nach ihrer Zeit, als ungefähr so tot wie das Genmaterial eines Archäopterix aus dem Altmühltal.
Weil aber selbst das bei allen Menschen, die einigermaßen bei Trost waren, gnadenlos durchgefallene „Neue Zeitalter“ weltweit gut eine Milliarde einspielte, die das schwer franchiseabhängige und finanziell prekäre Hollywood nicht liegen lassen konnte, mussten die Dinos an die Herz-Lungen-Maschine. „Jurassic World – Der Neustart“ wäre der bessere Titel gewesen. Hollywoods-T-Rex Steven Spielberg ist als Produzent wieder dabei.
David Koepp, von dem schon das Urviecher-Urscript stammte, schrieb das Drehbuch. Es wurden angeblich sogar alte Kameras von anno 1993 abgestaubt und wiederbelebt. Und mit Gareth Edwards, der 2014 eine passablen „Godzilla“ in die Kinos brachte, ein Regisseur mit Echsenerfahrung verpflichtet.
Kriminelle Pharma-Riesen
Die Geschichte ist schnell erzählt. Der Klimawandel macht den Dinos schwer zu schaffen. Wenn sie nicht tot am Wegrand liegend den Verkehr in Nordamerika behindern, haben sie sich in eine Gegend nahe dem Äquator zurückgezogen. Da darf kein Mensch mehr hin.
Auch weil sich im Jurassic-Laboratorium einst – ausgelöst durch die herumflatternde Verpackung eines Herzinsuffizienz auslösenden Schokoriegels – irgendwann Ergebnisse der Saurier-Genpanscherei befreit hatten, gegen die ein randalierender Velociraptor wie ein kläffender Dackel wirkt und die eigentlich wohlverwahrt hinter Glas bleiben sollten.
Weil Pharma-Riesen aber – zumindest in Hollywood – so sind, wie sie sind und nicht so nett wie die Betreiber von Biontech, wird eine Expedition in die Todeszone geschickt. Ein gewissenloser Abgesandter der Arzneimittelindustrie namens Krebs (Rupert Friend) führt die Truppe an. Zu der gehört unter anderem noch ein nerdiger Paläontologe namens Loonis (Jonathan Bailey).
Als Geleitschutz verpflichtet wurden Duncan (Mahershala Ali), ein geradezu randrassistisch gezeichneter, klassisch muskelbepackter Schwarzer mit dem Herz am rechten Fleck. Vor allem aber Scarlett Johansson als Söldnerin Zora. Die hat für den Trip ins Dinoreich als Gage exakt jene zwanzig Millionen ausgehandelt, die Johansson Gerüchten zufolge von Universal bekam.
Sie sollen zwecks Gengewinnung Blut von jeweils den größten an Land, im Wasser und in der Luft lebenden Echsen abzapfen – Mosasaurus, Titanosaurus und Quetzalcoatlus heißen die Dinos, die demnächst in jedem Kinderzimmer stehen dürften. Damit die schlichte Idee nicht allzu schlicht wird und die Geschichte familientauglicher, fangen sie unterwegs das Signal eines havarierten Schiffs auf mit dem Quetzalcoatlusse vor der Küste der Echseninsel Pingpong gespielt haben.
Ein Vater war darauf mit seinen beiden Töchtern und dem losen Vogel, der in seine Älteste verliebt ist. Zora zögert erst, sie hat gerade in bester Ahab-Manier erfolgreich zwecks Blutgewinnung einen Meeressaurier harpuniert, lässt sich dann aber doch zur Seerettung erweichen. Sie nehmen die Boatpeople auf.
Auf die wie immer herrlich malerische Echseninsel verschlagen, beginnt für das halbe Dutzend Humanoiden die übliche Heldenreise. Für deren Geschichte hätte man nicht unbedingt David Koepp teuer bezahlen müssen. Jede Großmutter in Erkenschwick hätte sie durch einigermaßen geschicktes Beauftragen ihrer Künstlichen Intelligenz binnen drei Minuten auf ihren Monitor bekommen (womit wir weder Großmütter noch Erkenschwick beleidigen wollen, die Künstliche Intelligenz natürlich schon).
Man muss kein ausgepichter Dinofilmfuchs sein, um den Verlauf des Plots durch dieses ziemlich durchsichtige Geschichtendickicht immer rechtzeitig vor seiner nächsten Kurve zu ahnen. Es gibt ganz hübsche Anspielungen an die Dino- und Horrorfilmgeschichte und ein paar wirklich magische Momente. Die Riesenechsen sehen – was zu erwarten war – noch besser aus als bisher. In den richtigen Abständen tun sie, wofür sie eigentlich aus Nullen und Einsen zusammengesetzt wurden – sie reißen Menschen in die Luft und aus ihrem Leben. Überwiegend sind es die richtigen.
Alle Anforderungen ans Popcorn-Kino erfüllt „Die Wiedergeburt“. Er ist ein Gruselschocker für die ganze Familie, für die Kleinsten wird noch eine glubschäugige Miniechse in den Urwald gesetzt, die demnächst garantiert im Kids-Menü des nächstgelegenen Burger-Braters auftaucht. Zwischen die Fress-, Panik- und Action-Attacken hat Koepp sogar immer wieder Pausen eingepflegt, in denen Scarlett Johansson und die anderen sich ihr Leben erzählen und die Gegenwart beklagen. Man sollte diesen Dialogen tunlichst durch einen beherzten Gang zur Theke oder Toilette zu entgehen versuchen.
Dem Herz geht es übrigens gut am Ende, der Defibrillator wird nicht mal da gebraucht, wo Gareth Edwards am meisten aufs Erschrecken aus ist. Weil es einen alles wahnsinnig kaltlässt. Weil wirklich sämtliche Figuren nicht mehr werden als Franchise-Pappkameraden. Was vor allem Scarlett Johansson einschließt, deren darstellerischen Qualitäten von jedem majestätisch dahinschreitenden Titanosaurus in den Schatten gestellt werden.
Gefährlich ist „Jurassic World – Die Wiedergeburt“ eher fürs Gehirn. Das nämlich fällt angesichts der Geistesblässe von Koepps Drehbuch irgendwann in eine Art Wachkoma. Wie Dino-Gene dem kinogenerierten Hirnschlag abhelfen, das menschliche Denkvermögen vor Alzheimer retten oder der Künstlichen Intelligenz überlegen machen können, wäre eigentlich eine ganz prima Idee für das nächste Abenteuer in der „Jurassic World“. Kommt bestimmt. Braucht's aber nicht. Mit dem Einstellen sämtlicher Franchises wäre schon viel getan für die zerebrale Gesundheit der Menschheit.
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