Der deutsche Schriftsteller und Soziologe Juan S. Guse hat sich ein Jahr lang mit Männern getroffen, die mit Krypto-Währungen reich geworden sind. Verarbeitet hat er diese Begegnungen zu einem Buch: «Tausendmal so viel Geld wie jetzt» ist eine Mischung aus soziologischer Studie, Essay und Roman.
SRF: Die Treffen mit Krypto-Millionären haben Ihnen, so schreiben Sie in Ihrem Buch, schlechte Laune bereitet. Warum?
Juan S. Guse: Die meisten dieser Männer hatten das Glück, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Gleichzeitig behaupten sie, dass alles nur eine Frage der Recherche, des Wissens und des Handwerks sei. Dass es spielend leicht sei, mit Krypto-Währungen Vermögen aufzubauen.
Es sind vor allem Männer unter 40, die sich auf Krypto-Messen und dergleichen tummeln.
Wenn man dies immer wieder zu hören bekommt, während man selbst auf der Stelle tritt, macht das – zumindest mir – schlechte Laune.
Sie haben mit Ihren Krypto-Investments kein Glück gehabt. Sie haben sogar Geld verloren.
Ja, 2500 Euro, weil ich den Ratschlägen einer meiner Figuren gefolgt bin.
Sie porträtieren in Ihrem Buch ausschliesslich Männer. Warum?
Weil es der Wirklichkeit entspricht. Das Buch verschreibt sich zwar nicht restlos der Wirklichkeit, in diesem Fall ist es aber zutreffend: Es sind vor allem Männer unter 40, die sich auf Krypto-Messen und dergleichen tummeln.
Haben Sie eine Erklärung dafür?
Da spielen verschiedene Faktoren eine Rolle, vor allem historisch-kulturelle. Nehmen wir zum Beispiel die Schweiz, wo verheiratete Frauen bis 1976 nicht eigenständig ein Konto eröffnen durften, um ihre Finanzen zu verwalten.
Eine derartige Ungleichberechtigung und asymmetrische Rollenverteilung verschwindet nicht über Nacht. Sie ist behäbig. Sie lebt in Institutionen weiter und überlappt sich mit anderen Vorstellungen. Beispielsweise jener der mutmasslichen technischen Affinität oder höheren Risikobereitschaft, die Männern zugeschrieben werden und die nicht unerheblich sind, um das Ungleichgewicht zu erklären.

Die Krypto-Millionäre, die Sie interviewt haben, sind allesamt «Sleeper», also Menschen, denen man den Reichtum nicht ansieht. Warum haben Sie diesen Typus gewählt?
Weil es Erwartungen untergräbt: Wer plötzlich reich ist, kauft sich erstmal ein teures Auto und ein grosses Haus, denkt man. Solche Menschen gibt es, klar. Mich haben aber die interessiert, die ihren Wohlstand nicht habituell übersetzt haben – zumindest nicht auf den ersten Blick.
Und auf den zweiten Blick: Woran erkennt man ihren Reichtum?
An kleinen Abweichungen, die nicht ins Gesamtbild passen. Ich war zum Beispiel in einer Berliner WG zu Gast, die ziemlich heruntergekommen wirkte. Auf den zweiten Blick sieht man dann aber: teure Konzertkarten an der Pinnwand und neben der Eingangstür eine grosse Salatschüssel voll mit AirPods Pro. Da können die Bewohner einfach reingreifen und sich bedienen, falls sie mal wieder einen Kopfhörer verloren haben.
Die porträtierten Krypto-Millionäre verbindet wahrscheinlich die Einsicht, dass sie mit ‹normaler› Arbeit kein Vermögen aufbauen werden.
Gibt es etwas, was die Krypto-Reichen verbindet, denen Sie begegnet sind?
Wahrscheinlich die Einsicht, dass sie mit «normaler» Arbeit kein Vermögen aufbauen werden. Dass einstige Meilensteile des Mittelstands, etwa das eigene Haus, immer unerreichbarer werden, weil die Gehälter nicht mit der Teuerung Schritt halten. Genau das ist ja die emotionale Einflugschneise. Das mobilisiert die Bereitschaft, sich auf Spekulation mit Krypto einzulassen.
Das Gespräch führte Katja Schönherr.
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