Sind wir jetzt endgültig im Reenactment der 1920er-Jahre angekommen? Daran, dass inzwischen im Wochentakt „Weimarer Verhältnisse“ ausgemacht oder herbeigeschrieben werden, hat man sich nolens volens gewöhnt. Das politische Erstarken der AfD, die Dauer-Polarisierung unserer Diskurse durch Social Media und womöglich auch der Boom der TV-Serie „Babylon Berlin“ hinterlassen Spuren.
Längst ist der publizistische Alarmismus penetrant geworden, sinnbildlich zeigt sich das in hohl drehenden Buchtiteln wie „Es ist 5 vor 1933“ (Philipp Ruch), irgendwo zwischen Angstlust und Aktivismus. Als jüngstes Projekt der Weimarer Republik-Ausweidung muss man die Wiederbelebung der Zeitschrift „Die Weltbühne“ einordnen. Im Unternehmen des Verlegers Holger Friedrich („Berliner Zeitung“) erscheint die legendäre Wochenschrift seit Mai als Monatsmagazin neu.
Die historische „Weltbühne“ war 1905 vom Berliner Theaterkritiker Siegfried Jacobsohn als Zeitschrift „Die Schaubühne“ gegründet worden – in Anspielung auf Schillers Rede „Die Schaubühne als moralische Anstalt“. 1918 folgte die Umbenennung in „Weltbühne“ – und mit ihr eine Erweiterung des Themenspektrums über bloße Theaterkritik hinaus. Die Zeiten waren politischer geworden. Außer Siegfried Jacobsohn, der 1926 starb, sind Namen wie Kurt Tucholsky und Carl von Ossietzky mit der historischen „Weltbühne“ verbunden. Ossietzky wurde 1933 nach der nationalsozialistischen Machtübernahme verhaftet und in verschiedene KZs gesteckt, bevor er 1938 starb. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde die „Weltbühne“ – nach einem Deal der Ossietzky-Witwe mit dem SED-Regime – ab 1946 in der DDR weitergeführt. Nach dem Ende der DDR gab es Rechtsstreitigkeiten, 1993 wurde die „Weltbühne“ eingestellt.
Pazifismus als Monstranz
Und jetzt also: ein Reenactment der „Weltbühne“ von Holger Friedrichs Gnaden. Etwas vom Nimbus strahlt ja noch. Im selbstgerechten Selbstverständnis tonangebender DDR-Kreise wurde gern unterstrichen, das gute Erbe von Weimar für sich gepachtet zu haben. Antifaschismus und Pazifismus – wie aus dem Propagandaapparat der SED – werden in den ersten beiden Ausgaben der wiederbelebten „Weltbühne“ nicht zufällig wie eine Monstranz vor sich hergetragen.
Die Herausgeber Thomas Fasbender und Behzad Karim Khani dürfen ein ganzes Milieu gelernter und nachgeborener DDR-Nostalgiker hinter sich wissen – ein Milieu, das dem Westen gegenüber bis heute kritisch eingestellt ist. Den Ukraine-Krieg sieht man als Mit-Schuld der Nato und gegenüber bundesdeutschen Mainstream-Medien findet es Distanz, wenn nicht gar Dissidenz geboten. In den ersten beiden Heften wird eine wenig überraschende Mischung aus Kapitalismus-, Amerika- und Kolonialismuskritik aufgeboten.
Überschattet wird das „Weltbühne“-Revival durch journalistisch-publizistische Begleitvorgänge. Zum einen hat ein Beitrag der Schriftstellerin Deborah Feldman Zweifel an der jüdischen Identität des Herausgebers der „Jüdischen Allgemeinen“, Philipp Peyman Engel, für Empörung und Kopfschütteln gesorgt, nicht nur in der Community.
Zum anderen läuft im Hintergrund ein juristischer Markenrechtsstreit um die Nutzung des Namens „Weltbühne“. Publik wurde, wie robust – und ohne Rücksicht auf moralische und eventuell noch bestehende rechtliche Ansprüche der Gründerfamilie Jacobsohn – der Verleger Holger Friedrich sich die Rechte besorgt hat. Laut einer „FAZ“-Recherche kontaktierte Friedrich den Enkel des „Weltbühne“-Gründers zwar. Doch im Grunde wollte der Verleger sein Ding machen und habe sich die deutsche Wort-/Bild-Marke „Weltbühne“ gekauft, die bereits 2003 zunächst von Eckart Spoo für den Verlag Ossietzky GmbH angemeldet und dann vom Verein die Weltbühne e.V. gehalten worden war.
Im RBB-Sender „Radio Eins“ erklärte Friedrich, es habe seit dem Ende der DDR genügend Gelegenheiten für die Familie Jacobsohn gegeben, sich dem Erbe „Weltbühne“ zu widmen und die Marke wiederzubeleben. Dies sei unterblieben. Auch gegenüber WELT äußerte sich Nicholas Jacobsohn, der Enkel des Gründers, kritisch zum „Weltbühne“-Revival durch Friedrich. Was es jetzt brauche, sei ein „intelligenter Diskurs“ und kein „Propagandainstrument“. Tatsächlich scheint Friedrich – im RBB-Interview – mindestens so sehr an die Marke (und Leserschaft) der DDR-„Weltbühne“ anknüpfen zu wollen wie an die 1920er-Jahre.
Einen lebhaften Eindruck davon, wie pointiert die historische „Weltbühne“ mitmischte, bekommt man beim Blick auf alte Schlagzeilen. Mal gehässig (wie 1929): „Man sollte die Universitäten ein paar Jahre schließen. Der Schaden wäre nicht groß“. Mal klarsichtig (wie 1930): „Je magerer die Zeiten, desto fetter die Ideologien“. Mal provokant (wie 1931): „Soldaten sind Mörder“ – der berühmte Ausspruch von Kurt Tucholsky beschäftigte die Gerichte der Bundesrepublik noch bis 1995. Staatstragend war die historische „Weltbühne“ nur bedingt, der Weimarer SPD gegenüber war sie nie freundlich gesinnt.
Tradition, Antimilitarismus und Antifaschismus: Die aktuelle, wohlfeile Ausweidung der Kulturmarke „Weltbühne“ sollte nicht davon ablenken, dass wir in unserer eigenen Mediengegenwart leben und die publizistischen Probleme von heute nicht mit Ideen von gestern lösen können.
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