In Berlin fehlen zwischen 100.000 und 300.000 Wohnungen. Der eklatante Mangel hat verschiedene Ursachen. Ein Grund: Es werden trotz ständiger Versprechen wechselnder Regierungen zu wenige Wohnungen gebaut. Der Wohnungsmangel trägt seinen Teil dazu bei, dass die Mieten und die Preise für Grund und Boden steigen. Gleichzeitig leistet sich Berlin eine der größten innerstädtischen Freiflächen der Welt und hat ihr amtlich das Prädikat „unbebaubar“ verliehen: das Tempelhofer Feld.
Die Fläche des ehemaligen Rollfelds des Berliner Flughafens umfasst rund 300 Hektar und ist damit fast so groß wie der Central Park von New York. Im Gegensatz zum Stadtpark in Manhattan ist das Tempelhofer Feld aber ein weitgehend ungestaltetes Areal. Seit einem Volksentscheid im Jahr 2014 steht es unter besonderem Schutz. Damals stimmten gut 64 Prozent der Berliner für den Erhalt des Flughafengeländes nach der Stilllegung des Flugbetriebs.
In dem noch im gleichen Jahr verabschiedeten Gesetz zum Erhalt des Tempelhofer Feldes (ThFG) ist festgelegt, dass Berlin als Eigentümer der Fläche darauf „verzichtet“, dort Gebäude zu errichten. Das Tempelhofer Feld sei der Bevölkerung und den Besuchern der deutschen Hauptstadt „grundsätzlich vollumfänglich, dauerhaft, uneingeschränkt und unentgeltlich zur Freizeitgestaltung und Erholung zur Verfügung“ zu stellen.
Das Gesetz war ein voller Sieg der Bürgerinitiative „100 % Tempelhofer Feld“. Seitdem kann man auf der „Hochfläche des Teltow“ – im Wesentlichen Wiesen und „Taxiway“, den ehemaligen Rollflächen – prima inlineskaten, joggen, Drachen steigen lassen, Gemüse in „urbanen Gemeinschaftsgärten“ züchten, die Stadthunde ausführen, sich die Sonne auf den Pelz brennen oder sonstwie die großstadtgeschundene Seele baumeln lassen. Der Freizeitwert wird neben positiven ökologischen Aspekten einer Freifläche mitten in der Metropole besonders hervorgehoben. Vor allem aber ist das Tempelhofer Feld ein ungeheurer Luxus.
Wer versucht, das Bebauungsverbot infrage zu stellen oder auch nur ergebnisoffen diskutieren zu wollen, muss sich warm anziehen. Über das Areal fegt nämlich nicht nur im Winter ein eisiger Wind, es ist der Berliner Freilufttempel, der den Götzen der Partizipationsprozessseligkeit gewidmet ist. Wehe, wer sich mit den gewählten „Feldkoordinatoren“ und den Gläubigen des Unbebaubarkeitsdogmas anlegt, um die ketzerische Haltung zu vertreten, der Volksentscheid sei eine fatale Entscheidung gewesen.
Fetisch eines freien Feldes
Vor knapp zwei Jahren traute sich der Berliner Stadtentwicklungssenator Christian Gaebler (SPD), die Debatte mit dem Triggerwort „Randbebauung“ anzustoßen, worauf prompt die nächste Petition zur Fundamentalverhinderung eingeleitet wurde. Gaebler lobte einen zweistufigen „internationalen stadt- und freiraumplanerischen Ideenwettbewerb“ aus. Das Ziel war, eine „Weiterentwicklung“ des Tempelhofer Felds „auszuloten“. Die Prämisse war, „den vorhandenen Freiraum für (…) Aktivitäten zu bewahren, die Herausforderungen des Klimawandels (…) einzubinden sowie Möglichkeiten für einen Beitrag zur Deckung des Bedarfs an Wohnraum (…) zu untersuchen“.
Jetzt wurden sechs Entwürfe aus ursprünglich 164 Einreichungen ausgewählt („keine Rangfolge“) und vorgestellt. In einer „dritten Dialogwerkstatt“ im Juli 2025 soll dann eine Jury aus fünf Bürgern und sechs Fachpreisrichtern über die Ideen der Nominierten entscheiden. Radikale Entwürfe – so es sie denn gab – haben es jedenfalls nicht in die Endrunde geschafft. Gemäß den wenig ambitionierten Vorgaben wird das „Feld“ in der Riege der sechs Finalisten kaum angerührt. Die in den Vorgaben genannte „Vielfalt einer zukünftigen Entwicklung des Tempelhofer Feldes“ wird von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen anscheinend nicht angestrebt. „Bauen und Wohnen“ spielt jedenfalls kaum eine Rolle. Unangetastet bleibt der naturromantische Fetisch eines freien Feldes.
Die Architekten von De Zwarte Hond schwärmen zusammen mit Grieger Harzer Dvorak Landschaftsarchitekten (beide Berlin) von einem „Wiesenmeer“ als „Hotspot der Biodiversität“. Um einen „Alten Hafen“ wollen sie ein bisschen Parklandschaft gestalten, am „kühlen Saum“ soll sich ein „Erlenwäldchen“ ausbreiten dürfen. Die Randbebauung drängt sich in einen Winkel und zeigt aus der Vogelperspektive ein Ornament wie man es von Plattenbausiedlungen mit ihren „begrünten Höfen“ kennt. Ganze 2400 „Wohneinheiten“ sollen hier entstehen.
„Build it Green!“ nennen die Berliner Landschaftsarchitekten BBZ ihren Entwurf. Sie künden von einer „Waldmembran“, wollen Licht-, sogar Urwälder pflanzen. Ihr Wunsch für den größten Teil der Fläche: „Die Sonne flirrt im Sommer über der Graslandschaft.“ Was das in Berlin bedeutet, kann man sich leicht vorstellen, eine trocken staubige Ödnis, die mit „Savanne“ allzu euphemistisch beschrieben ist. Von der Randbepflanzung erhoffen sich die Entwerfer eine „spürbare Abkühlung“ der Nachbarschaften. Warum trauen sie sich dann nicht, das komplette Gebiet aufzuforsten, um der angestrebten Fauna von Waldschnepfe bis Waldkauz tatsächlich Lebensraum zu schaffen und der umgebenden Stadt ein besseres Klima zu bereiten? Menschliches Wohnen ist im Entwurf von BBZ doch ohnehin kein Thema.
Aussicht auf Feldlerchen
Auch beim Büro Schønherr treibt die Poesie schönste Blüten, auf der großen „Blumenwiese“ vor den Hangars des Flughafengebäudes und auf dem Planpapier. In Berlin, wo – völlig überraschend – „oben der Himmel, unten die Erde“ wartet, spüren die Kopenhagener den „Tempelhofer Atem“ und die „Engel lauschen“. Doch ihr Entwurf ist eher schematisch, sie schlagen zwei sich überlappende Kreise auf das Feld, am Rand werden Wohnzeilen gebaut oder „Tempelhöfe“, als neuerliche Interpretation der berühmten „Berliner Mischung“, die sich seit der produktiven Art der Gründerzeit leider noch selten durchgesetzt hätte.
Some Place Studio (Berlin) und FWD Landscape Architecture (USA) haben womöglich schon mit ihrem nüchternen Titel „Bestand stärken, Vielfalt fördern“ gepunktet. Das triggert zwei der im urbanen Diskurs geläufigsten Phrasen. Auch hier wird Natur plakativ gegen Architektur ausgespielt. „Biodiversität und Lebensraum für Bestäuber“ ist selbstverständlich höher einzuschätzen als Wohnraum. Wer bräuchte den schon, wenn es nur genügend Aussichtspunkte auf die „Feldlerchenschutzflächen“ gibt?
Doch der dichte Wald, den doch alle so viel lieber zu mögen, als die dichte Stadt, fehlt auch in der Fantasie von Franz Reschke Landschaftsarchitektur (Berlin). Nein, das als „Allmende einer Metropole“ beschriebene Feld muss frei bleiben, eine „Stadtlichtung“, die klimaschädliches CO2 leider nur unzureichend wird binden können. Nur an den (freilich unbebauten) Rändern wachsen „fünf Haine – fünf Charaktere“.
Ähnlich traurig macht der Entwurf von Raumlabor Berlin mit dem Landschaftsarchitekten Klaus Overmeyer. Er verzichtet schon im Plan auf alle Farbe, nicht mal grün zeichnet er die „Übe-Räume für Stadttransformation Tempelhof 2050“. Das für seine interdisziplinären Ideen zwischen Architektur, Kunst und Happening bekannte Kollektiv zündet noch mal ein Potpourri seiner experimentellen Projekte, hier ist schließlich Platz genug – für die „Floating University“ bis zur „Montage City“ von der schon der Avantgardist Cedric Price in den 1960er-Jahren fantasierte.
Wohnraum? Auch in dieser Utopie eine zu vernachlässigende Größe. Hauptsache, das Wiesenmeer bekommt „seine Ruhezeiten. Feldlerche und Co. haben das Recht dazu“. Deshalb wird es „nachts mit niedrigen Toren verschlossen, um alle darauf aufmerksam zu machen, dass hier nun Nachtruhe ist“ – Sperrstunde im Paradies.
Egal, welcher von diesen sechs Entwürfen am Ende die größte Aufmerksamkeit vom Preisgericht bekommt, der Ideenwettbewerb zeigt, wie schädlich der Volksentscheid von 2014 für Berlin war. Denn mit diesem Planerpathos wird am Tempelhofer Feld wohl nichts entstehen. Woher sollten auch die Investitionen für einen drei Quadratkilometer großen „Park des 21. Jahrhunderts“ kommen? Von Berlin sicher nicht, die Kommune kann ja kaum einmal seine Kinderplantschen auf Spielplätzen und in den bestehenden Parks aus eigener Kraft bewässern.
Mit privatem Kapital werden allenfalls – wenn es ihnen denn vom Feld der Koordinatoren zugestanden wird – die Ränder zaghaft bebaut werden. Die Aussicht von teuren Terrassen irgendwann einmal in die „Natur“ zu blicken, ist für Investoren sicherlich verlockend. Bloß Stadt, ob nun experimentell oder konventionell, das wollen hier leider weder die Stadt noch die Städter.
Die Entwürfe aus beiden Phasen des Wettbewerbs sollen im September 2025 in einer öffentlichen Ausstellung in Berlin präsentiert werden.
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