Der Bilder-Sound, an den man sich längst gewöhnt hat. Die Gegenstandsaskese der schicksalhaft modern gewordenen Malerei. Niemand, der vor all den abstrakten Bildern, die im Umlauf sind, noch wissen wollte, was sie zu bedeuten haben. Bunt sind sie alle, die einen eher leise, die anderen laut, müde oder voller Energie, und irgendeine geheime Botschaft wird wohl überall versteckt sein.
Und dann begegnet man doch einmal Bildern, vor denen all die Seh-Sicherheiten versagen, die man sich im abstrakten Mainstream erworben hat. Bilder, die so gegenständlich und ungegenständlich zugleich anmuten wie das Meer oder der Sternenhimmel, von denen ja auch niemand wissen will, welcher Objektklasse sie angehören.
„Keine Komposition – keine Gestik – keine Kunstfarbe – keine Verzerrung – keine sichtbare Angst oder Anstrengung – kein Ich – ausdruckslose Bilder“. So hat Vija Celmins, die Malerin ihr Malen beschrieben. In ihrer großen Ausstellung in der Fondation Beyeler am Stadtrand von Basel ist es, als sei man auf eine Insel festlicher Stille geraten, wo eine magische Neugier, eine Besessenheit von den Dingen aufgeht im zufriedenen Einverständnis mit ihrer Sichtbarkeit.
Der Blick geht weit zurück
Da hängen die kleinen dunkelgrundierten Bilder aus den 1960er-Jahren in weiten Abständen, jedes ganz für sich, als wollten sie alle nichts miteinander zu tun haben. Die glühende Heizplatte, der geöffnete Briefumschlag, das Rhinozeros, der Arm mit Pistole, der brennende Mann, der aus dem brennenden Auto flieht – in der Summe rätselhafte Leere.
Eine Geschichte jedenfalls wird daraus nicht, auch wenn sich das Glühen, Brennen, Schießen verschwiegenen Motiven verdanken mag, verborgenen Ängsten, Obsessionen, Schrecken, Empörung. Es ist keineswegs verboten, sich die Künstlerin, wenn sie amerikanische Kampfflugzeuge nach Zeitungsvorlagen malt, als Pazifistin vorzustellen.
Wenn Vija Celmins sich zwei Zeitungsausrisse vornimmt, das Foto vom atombombenverseuchten Bikini-Atoll und das Foto vom atombombenzerstörten Hiroshima, dann ist das auch ein stummes politisches Statement. Unübersehbar, die politischen Implikationen des Werks. Aber zugleich – und das ist nicht weniger politisch – malt die Malerin auch ihr Erstaunen, dass ihr die beiden Zeitungsausrisse nicht mehr aus dem Sinn gehen, malt sie, wie sie nicht loskommt von ihnen.
Sie malt, wie die Zeitungsausrisse gleichsam zurückschauen mit seltsamer, geheimnisvoller, bezwingender Intensität. Die eigentliche Regie führt doch das Hinsehenwollen oder Hinsehenmüssen, dieser eigentümliche Zwang, der die Malerin zur wehrlosen Augenzeugin macht und sie festhält, bis sie mit dem Glühen der Heizplatte auch ihren Bann vor dem Glühen gemalt hat.
Meditative Praxis
Vija Celmins, 1938 in Riga geboren, mit der Familie in den frühen 1940er-Jahren in die USA emigriert, Kunststudentin, mal hier mal dort im großen Land, behutsam auf der Suche nach dem eigenen Weg, mal Malerin, mal Zeichnerin, verehrt von Kollegen wie James Turrell, Brice Marden, Doug Wheeler, Chuck Close. In Europa sind ihre unscheinbaren Zeichnungen und Bilder selten zu sehen gewesen. So hat es beim unspektakulären Reiz dieses Werks nicht ausbleiben können, dass lange nur Wenige wussten, vor welchen Heizplatten, Kräuselwassern, Sternenhimmeln oder Spinnennetzen ihre einzelgängerische Freundin gerade versunken ist.
Versunkenheit – anders kann man die meditative Praxis nicht nennen, bei der die Künstlerin in unendlich geduldigen Sessions vor dem Weltausschnitt, der Bild werden soll, so lange verweilt, bis sich all die Mikroelemente zur Struktur schließen, zum Grauschleier, der die Gegenstände in ihrer Farblosigkeit ertrinken lässt.
Von astronomischen Geheimnissen erzählt das Bild nichts. Und von der Unendlichkeit des sternbesetzten Nachthimmels auch nicht viel. Es erzählt von der Malerin, die bei der hingebungsvollen Verteilung der weißen Tupfen auf der grauschwarzen Kulisse lauter Signale empfängt und getreulich an ihre Bilder weitergibt: Signale einer eigentümlichen Lähmung, einer stillen, völlig undramatischen Angehaltenheit, Signale der elementaren Unzuständigkeit für die Bewegungsvorgänge, die man Leben nennt.
Weshalb die Dinge, die Vija Celmins malt, sich auch nicht zu einem Weltbild fügen. Aus einem Paar Tischleuchten, aus leichtem Wellengekräusel, aus einem feinst gesponnenen Spinnennetz, aus einem Ausschnitt Wüstenboden und einem Ausschnitt Sternenhimmel wird kein Report und kein Roman. Was die Malerin malt, taugt als Parameter weder für Physik noch für Metaphysik. Soll man ihre Bilder Stillleben nennen? Stillleben ist nicht einfach eine bildmotivische Gattung. Stillleben ist immer auch Utopie, nichts weniger als ein Vorschein der Welt, die in ihren Dingen zur Stille gekommen ist.
Gerne stelle sie sich vor, hat Vija Celmins einmal gesagt, dass in der Kunst die Zeit angehalten werde: „Wenn man lange an einem Werk arbeitet, scheint es sich der Zeit zu bemächtigten. Die Bilder, die mir gefallen (jene von Piero della Francesca zum Beispiel), haben etwas Bewegungsloses an sich, einen komprimierten Zeitraum, der dir die Augen öffnet. Wenn du viel Zeit in ein Werk hineinsteckst, geschieht etwas, was das Bild verlangsamt, es körperlicher macht, dich dranbleiben lässt.“
Langsame Bilder. Schöne Vorstellung, Bilder stellten sich der Zeit in den Weg, hielten sie freundlich auf, und die Zeit ließe sich alles gefallen, und die Bilder wären nichts anderes als Batterien voller Zeit, Zeitbevorratung gleichsam mitten im Verschleiß des Lebens.
Man kann ja mit europäischen Augen gar nicht anders, als angesichts unendlicher Meereswellen und raumloser Himmel an den Mustermönch zu denken, den Caspar David Friedrich ans Gestade geführt hat. Vija Celmins will zu ihrer Seelen- und Geistesverwandtschaft nichts sagen. Ihre Bilder seien Schau-, keine Denkstücke. Was all die enttäuschen mag, die im buddhistischen Habitus dieses Künstlerinnen-Entwurfs eine besondere Kompetenz für Spiritualität sehen wollen. Gerade im Verzicht auf das amerikanische Format, auf das überwältigende Sehangebot, im akribischen Nachzeichnen der kleinen Fotovorlage verbirgt sich auch eine seltsame Sachlichkeit, ein Interesse mehr am Detail als am großen Ganzen.
Anders als der Mönch, der sich weit vorwagt und dann in einem Augenblick der Eingebung aufgeht im dramatischen Gewoge schierer Dimensionslosigkeit um ihn herum, bleibt Vija Celmins lange stehen, sieht lange zu, bis sich das Bild vor ihr zerteilt in lauter Atome. Und während der romantische Gefährte von seinem Erlebnis immer gleich pathetischen Bericht geben muss, zieht sie sich in die Verschwiegenheit ihrer Bilder zurück und verrät nie etwas vom Geheimnis, das sie mit Wüsten, Wassern, Sternen und Spinnennetzen teilt.
Nie waren die Gegenstände so ungegenständlich, nie war die Ungegenständlichkeit derart faszinierender Gegenstand.
Vija Celmins, bis 15. September 2025, Fondation Beyeler, Riehen bei Basel
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