Wer amerikanische Comedy bloß auf schnelllebigen Kurzvideo-Plattformen wie Instagram oder TikTok verfolgt, könnte das Gefühl bekommen, die Szene leide unter einem Kreativitäts-Problem. In kurzen Clips sieht man dort Stand-Up-Handwerker, die sich mäßig originell mit vorlauten Gästen im Publikum streiten oder stakkatohaft gedankenlose Anzüglichkeiten runterleiern, statt ein zusammenhängendes Repertoire zu präsentieren.
Gleichzeitig versuchen seit einigen Jahren etliche Comedians das Genre künstlerisch weiterzuentwickeln – weg von flachen Gags und hin zu fast literarischem Geschichtenerzählen, mit rotem Faden, emotionalem Tiefgang und persönlichem Bezug.
Nun könnte man sich seufzend fragen: Noch mehr selbstgerührte Ernsthaftigkeit? Muss Comedy jetzt auch „woke“ werden? Schließlich ist der Anspruch der meisten professionellen Witze-Erzähler, einen unbelasteten Raum der Heiterkeit zu schaffen.
Prototyp eines leichtfüßigen Sorgenfrei-Comedians
Bedenken, die nicht ganz unbegründet sind. Das deutsche Kabarett ist seit Jahren dozierend langweilig und der englischsprachige Raum hat aufgeschlossen. Die australische Komikerin Hannah Gadsby etwa hat ihren traumatischen Jugenderfahrungen und der Dekonstruktion von selbstironischem Humor ein ganzes – ziemlich deprimierendes – Netflix-Spezial gewidmet. Aber umgekehrt gibt es auch zahlreiche Comedians, die ernsthafte, anspruchsvolle Geschichten ohne Larmoyanz erzählen – und dabei auch noch lustig sind.
Zum Beispiel Gabriel Iglesias, der am Montag in der Stuttgarter Porsche-Arena auftritt. Der 48-Jährige, wegen seiner Leibesfülle „Fluffy“ genannt, ist eigentlich der Prototyp eines leichtfüßigen Sorgenfrei-Comedians. Er tritt in Shorts auf und nimmt sich selbst demonstrativ kaum ernst. Sein Humor ist familienfreundlich und dreht sich häufig um seine mexikanische Herkunft und Alltagsgeschichten – gespickt mit ausgefeilten Imitationen.
Auch in Stuttgart lacht das Publikum am lautesten, als Iglesias auf Spanisch seine Verwandten nachäfft oder von seiner Irritation über die Celsius-Angabe auf dem Thermostat in seinem deutschen Hotelzimmer erzählt: „Hier sollten Pinguine leben!“, ruft er unter Gelächter.
Den Mexikanern im Publikum empfiehlt er, in Deutschland zu bleiben. „Hier wird Trump euch niemals finden!“ So weit, so gängig.
„FUUUUUCK“
Doch auf die Aufwärm-Gags folgt eine lange Phase der Ernsthaftigkeit. Einen Großteil seines Programms widmet Iglesias persönlichen Geschichten des Scheiterns. So erzählt er, wie er unvorbereitet auf einer Charity-Veranstaltung für die Opfer häuslicher Gewalt auftreten musste, den Auftritt verpatzte und deshalb fast seine Karriere aufgab.
Er erzählt vom komplizierten Verhältnis zu seinem Vater, der die Familie verließ und den Iglesias in hohem Alter in Mexiko wiedertraf, als dieser schon an Alzheimer erkrankt war.
Doch auch hier baut der Comedy-Veteran Gags ein. Er schildert: Als seine Halbschwestern von der Erkrankung ihres Vaters erzählten, die ihn daran hindere, Alltagsaufgaben zu meistern, habe Iglesias geantwortet: „Aber er ist doch gerade allein auf Toilette gegangen.“ Worauf die Schwestern gerufen hätten: „FUUUUUCK“ und dem Vater hinterher gestürmt seien. Ein schwieriges, persönliches Thema, aufgelockert durch präzise platzierte Gags.
Der Künstler buhlt nicht um Mitleid. „Manchmal merkt man erst hinterher, dass die Dinge ihren Sinn haben“, sagt er – und entschuldigt sich dafür, dass seine Geschichten nicht humorvoller seien. Doch die Entschuldigung ist überflüssig. Das Publikum lauscht gebannt, einige Zuschauer haben Tränen in den Augen. Auch das kann Comedy sein.
Flucht nach vorn
Iglesias ist nicht der einzige Stand-Up-Künstler, der humorvoll aber verletzlich sein eigenes Schicksal thematisiert. Der eher für derben Humor bekannte Bill Burr analysiert regelmäßig den Zusammenhang zwischen seiner emotionalen Distanziertheit und der strengen Erziehung seines Vaters.
Überhaupt gibt es in der Comedy-Szene viele Künstler aus gesellschaftlichen Außenseiter-Gruppen, für die die Bühnenarbeit auch eine Art Therapie ist. Brad Williams etwa thematisiert häufig seine Kleinwüchsigkeit. Steve Hofstetter hat sogar ein Buch über seine jugendlichen Mobbing-Erfahrungen geschrieben. Gemeinsam haben diese Künstler, dass sie die Flucht nach vorn antraten und die Bühne suchten, anstatt in Selbstmitleid zu verfallen. Ihre Erfahrungen verschafften ihnen die Resilienz, die man braucht, um im harten Showgeschäft zu überleben.
Burr, Iglesias und Co. kommt dabei zugute, dass die großen Streaming-Dienste bei der Vermarktung ihrer Content-Bibliotheken immer mehr auf längere Comedy-Specials setzen, die Künstlern den Raum geben, auch längere und komplexere Geschichten zu erzählen. So hat Dave Chappelle drei aufeinander aufbauende Netflix-Auftritte veröffentlicht – und auch weniger etablierte Comedians bekommen bei Streaming-Diensten gelegentlich eine Chance.
Während die TikTok-Clips immer kürzer werden, können Geschichtenerzähler nun ein anspruchsvolleres Publikum erreichen. Das „Tight Five“, also ein fünf Minuten langes Highlight-Programm mit hoher Gag-Dichte, das früher als Türöffner in die Szene galt, spielt in Netflix-Produktionen keine Rolle mehr.
So scheint Comedy von seinem Anspruch, die Zuschauer ihren Alltag vergessen zu lassen, abgerückt zu sein – ohne, dass das Publikum sich daran stören würde. Comedy als Kunstform reift – und bleibt dennoch witzig. Und wer keine langen Geschichten mag, für den gibt es ja immer noch TikTok.
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