Ein Haus auf Sardinien. Für einen Euro. Tilda muss nicht lange überlegen. Aber ihr neues Zuhause hat eine Geschichte, birgt ein düsteres Geheimnis: Es war Ort eines blutigen Massakers im September 1982. Und es gab nur einen Überlebenden.
Sardinien ist für viele ein Sehnsuchtsort: smaragdgrünes Wasser, Sonne satt, dazu Berge und Wald. Ostsee trifft Thüringen - und eben "la dolce vita". Tilda - Architektin aus Deutschland, ihr Vater ein Italiener - zieht es nach Sardinien. Sie ist auf ein Traumangebot gestoßen: ein Haus für einen Euro. Als sie in dem kleinen Bergdorf Bottigalli das Objekt ihrer Begierde in Augenschein nimmt, ahnt sie, weshalb es nur einen Euro kostet: Bottigalli ist ein Geisterdorf. Verlassen. Die gut 50 Häuser sind heruntergekommen, verfallen. Lediglich die etwas entfernt auf einem Gipfel thronende Kirche scheint noch etwas herzumachen.
Aber Tilda will hierhin. Genau hierhin. Sie will in die Einsamkeit, weg von ihren Dämonen, die sie jede Nacht heimsuchen und sie sterben lassen. Buchstäblich. Ein tragisches Unglück, für das sie die Verantwortung trägt und bei dem mehrere Menschen starben, verfolgt Tilda.
Sie kauft das Haus in Bottigalli, beginnt, es wieder auf Vordermann zu bringen. Einfach ist das nicht. Die sardischen Berge sind nichts für Weicheier: Die Straßen sind zu schmal, als dass Autos bis zu dem Haus fahren könnten. Handyempfang? Fehlanzeige. Straßenbeleuchtung? Moderner Schnickschnack. Dennoch kommt sie zurecht, wurstelt sich so durch. Tilda ist die "Unternehmerin aus Deutschland", die beim Fischhändler an der Küste auch schon mal mehr bezahlt, als sie muss.
Eingesperrt in der Kirche
Als ihr Bruder Nino plötzlich auftaucht, ist es mit der Ruhe vorbei. Der Youtuber hat in Deutschland versucht, die Pizzeria des Vaters nach dessen Tod über Wasser zu halten. Erfolglos. Nun will er sein Glück in Italien versuchen. Ein Besuch der Geschwister in der Kirche ändert dann alles: Die schwere Tür des Gotteshauses fliegt zu, wird von außen verriegelt. Sie sind eingesperrt und finden bei ihrer Suche nach einem weiteren Ausgang eine kleine Kammer unter der Krypta. Mit einer Holzkiste. Ein kleiner Luftschacht mit Biegung, sodass kein Licht hereinfallen kann, ist ihre Rettung. Tilda quetscht sich raus, um Hilfe zu holen. Bei Silvio. Der Alte lebt auch noch in Bottigalli, allerdings nicht offiziell, der Steuer wegen. Er ist bettlägerig, wird ganztags von einer Pflegerin mit einem grimmigen Blick betreut.
Doch für Tilda ist klar: Silvio ist der Einzige, der sie eingeschlossen haben kann. Sie rennt zu seinem Haus und wutentbrannt in dessen Zimmer. Silvio liegt schlafend im Bett, die Pflegerin ist außer sich, ob Tildas Verhalten. Aber Tilda wird fündig: Silvio hat den Schlüssel zum Kirchentor unter seinem Bettlaken versteckt und grinst verschmitzt, als Tilda ihn entdeckt. So gebrechlich wie es scheint, ist der Alte dann doch nicht.
Nino will ihm das Ganze heimzahlen. Unter anderem bricht er eines Nachts in Silvios Haus ein, schleicht sich in sein Zimmer, platziert einen Wecker direkt neben Silvios Ohr und filmt alles mit seinem Smartphone. Danach rennt er aus dem Haus und wartet, bis der Wecker ohrenbetäubend klingelt. Nino lacht sich ins Fäustchen. Was für ein Prank! Millionen Views sind ihm sicher.
Aber kurz darauf ist Nino verschwunden. Spurlos. Wie vom Erdboden verschluckt. Tilda treibt die Angst um, dass ihm etwas passiert sein und Silvio dahinterstecken könnte. Sie schaltet einen ortsansässigen Journalisten ein, Enzo. Der spricht seit Monaten mit Silvio, will ihm ein Geheimnis aus der Vergangenheit entlocken, aus dem düstersten Kapitel Bottigallis: Am 27. September 1982 fand in dem Ort ein blutiges Massaker statt - und Silvio ist der einzige Überlebende. Der Ort der Bluttat ist das Haus, in dem nun Tilda lebt. Was keiner der drei ahnt: Ihrer aller Schicksale sind miteinander verwoben.
Ein dunkler Sommer, eine düstere Vergangenheit
Was nach Grusel und Thriller klingt, ist das perfekte Hörbuch für den Sommerurlaub, für den Strandbesuch, vielleicht sogar für Sardinien. Es geht um einen heißen Sommer, in dem Italien gegen Deutschland Fußball-Weltmeister wurde. Es geht um eine Insel, eine Region, in der zu dieser Zeit Entführungen und Menschenraub an der Tagesordnung waren - mehr als 150 in knapp drei Jahrzehnten. Teilweise dauerten sie Monate, manchmal mehr als ein Jahr. Nicht immer kamen die Opfer lebendig zurück.
Die Bergbewohner waren bitterarm, Arbeit gab es kaum. Sie nutzten die Entführungen, um sich und meist das gesamte Dorf über Wasser zu halten. Einer für alle, alle für einen. Das Sagen hatten die Väter, die Männer des Dorfes, der Capo dabei immer das letzte Wort. Kein Wunder also, dass in Vera Bucks "Der dunkle Sommer" zwei Frauen die Hauptdarstellerinnen sind: Tilda und Franca. Letztere begehrte einst auf, wollte die Machenschaften des Dorfes nicht decken, denn es wurde ein Tabubruch begangen. Den wollte sie ans Licht bringen.
Fesselnd bis zur letzten Sekunde
Ob sie es schaffte und wenn ja, wie, und welche Rolle Tilda in dem Ganzen spielt, ist die Geschichte, die Buck erzählt. "La famiglia e tutto", die Familie ist alles, diese Worte schwingen immer mit, wenn es um Franca geht, um ihren Vater, die Mutter. Buck spricht von "reparierenden Hochzeiten", Ehen, in denen vergewaltigte Frauen ihren Peiniger geheiratet haben, damit keine Familie ihr Gesicht verliert, das Leben in der Dorfgemeinschaft weitergehen konnte. Diese Ehe gab es wirklich, Buck bezieht ihr Buch auf ein Beispiel aus Sizilien. Sie fügt mit den Entführungen einen weiteren Aspekt hinzu, der seinen Anfang auf Sardinien genommen und sich im Anschluss über ganz Italien ausgebreitet hat. Sogar die Kinder spielten Menschenraub.
In der Regel wurde den Opfern ein Knebel in den Mund gesteckt, ein Sack über den Kopf gezogen, danach wurden sie in eine Holzkiste verfrachtet und diese entweder in einer Höhle oder einem Erdloch versteckt. Später wurden ihnen noch Kopfhörer an die Ohren geklebt, aus denen ununterbrochen Musik schallte. Unmenschlich - aber auch das ist eine Seite Sardiniens, dieser heutigen touristischen Trauminsel.
Und dank Vera Bucks fantastischem Buch, erschienen bei Rowohlt und Argon, lernt man Sardinien neu kennen. Das Hörbuch wartet mit einem Sprecherensemble auf, das dem Werk angemessen ist und es darüber hinaus zu einem wirklichen Hörerlebnis werden lässt: Da wären etwa Leonie Landa, Laura Maire und Uve Teschner, oder auch Julian Mehne, Jeremias Koschorz und Lydia Herms. Die Stimmen sind dabei so fesselnd wie die Story, wie Italien - wie Sardinien und seine Berge im Landesinneren.
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