Serien, in denen jemand sagt, dass Fernsehen eine Form von Sterbebegleitung sei, können natürlich keine schlechten Serien sein. Und natürlich ist David Schalkos Serie „Warum ich?“, in der Katharina Thalbach das sagt, keine schlechte Serie. Natürlich ist sie das ziemlich komplette Gegenteil.
Warnen muss man trotzdem vor dieser Sammlung von sechs Kurzgeschichten. Weil sie einen ums ästhetische Wohlbefinden bringt. Und dazu, uns um den Verstand zu quasseln. Weil man auf gar keinen Fall das ganze Sextett in drei Stunden wegglotzen sollte. Schalko würde sich damit möglicherweise einer Art der Sterbebegleitung durch Fernsehen schuldig machen, von der wir nicht genau wissen, ob sie nicht möglicherweise sogar strafbar ist.
David Schalko, das sollte man vielleicht erwähnen, hat sich ums Wohlbefinden seiner Konsumenten noch nie viel geschert. Das war alles sehr lustig, sehr böse, sehr finster, was man da sah, in „Braunschlag“ beispielsweise. Geschichten, gefischt aus den Abgrundseen und den Verliesen unseres alpenländischen Nachbarlandes.
Zuletzt hat er „Kafka“ gedreht. Eine Biopic-Verweigerungsserie zum hundertsten Todestag des großen Rätselhaften. Einen Sechsteiler, der weniger am Abschreiten von Kafkas Lebensweg interessiert war, als am cineastisch Verständlichmachen von dessen Psyche und ihrer möglichen Genese.
Kammerspiel im Gruselkabinett
Danach, nach dem großformatigen Fantasietheater, zu dem Daniel Kehlmann das Buch geschrieben hatte und sich eine ganze Kohorte hochmögender Schauspielender verpflichteten, wollte Schalko was ganz anderes, was Kleines machen, hat er gesagt, was Kammerspieliges. Ein Plan, der mit „Warum ich?“ nur bedingt aufgegangen ist.
Zum einen enthält der in sich durchaus verschränkte Sechsteiler mehr als nur eine Spur Kafka. Zum andern begegnet man in den sechs um die 25 Minuten langen Stories natürlich wieder einer ganzen Kohorte hochmögender Schauspielender. Am Ende, das beim Nobelspanier namens „Casa Carmen“ explodiert, spritzt Blut, Beziehungen fliegen durch die Luft und in Dialogen aller denkbaren aktuellen Debatten.
Man möchte auf gar keinen Fall mit einem dieser Saskias, Horsts, Dominiks, Gundulas und Monimonis in einem Aufzug stecken bleiben. Eines Morgens aus unruhigen Träumen in der Welt des David Schalko erwachen, war ja sowieso schon immer einer der schlimmsten Alpträume, die man haben konnte.
Die Kammern, die sich Schalko (Jg. 1973) möglicherweise als ästhetische Traumatherapie diesmal hat bauen lassen und in denen er kleinbürgerliche Duelle, implodierende Familienfeste und eskalierende Existenzkämpfe ausfechten lässt, sind von ausgesuchter Hässlichkeit, Dioramen eines Museums der Siebziger.
Wer vom Anblick schlimmer Tapeten, geradezu in Eiche rustikal gegossener, sarghafter Wohnzimmer, von herumhängenden Gehörnen, Geweihen, Bildern von explodierendem schlechten Geschmack und von den Erinnerungen an schlimme D-Zug-Abteile in Kunstleder Pusteln bekommt, sollte besser „Bergdoktor“ schauen.
Wo ist der nächste Defibrillator?
Die Familie von Hans zum Beispiel kommt zum Sechzigsten des Vaters zusammen. Die Wohnung ist beinahe fensterlos. Man möchte vor Beklemmung sofort zum nächstgelegenen Defibrillator greifen. Am Ende des Esstisches liegt in einem wintergartengroßen Terrarium eine fette Bartagame herum und rührt sich nicht.
Hans ist Polizist, und die erwachsenen Kinder kommen zu Besuch. Man bellt sich an. Unvollständige Sätze schrillen wie Schrapnelle, es findet ein Wettbewerb im Passiv-Aggressiv-Sein statt.
Hartmut, der bleiche, hagere Sohn, legt seinen Wintermantel nicht ab, erklärt, dass er zu Fuß nach Afrika gehen will. Gundula, die Tochter, erklärt, dass sie mit halb London geschlafen habe, aber niemand sei hängen geblieben.
Hans erklärt, dass er Alzheimer habe und sich deswegen in wenigen Wochen in den Tod begleiten lassen wolle. Was wiederum Gundula, die auf der verzweifelten Suche ist nach irgendeinem Missbrauch, von dem sie ihrer Therapeutin erzählen kann, auf die Palme bringt.
„Warum ich“, ruft die zwischenzeitliche Egozentrik-Europameisterin. „Immer, wenn’s mir gut geht ohne euch, reklamiert ihr euch in mein Leben zurück, als ob ich ein Kolonialland wäre. Aber ich lass’ mich nicht versklaven. Schon gar nicht mit schlechtem Gewissen.“ Irgendwann kommt alles anders und die Tante Fritzi, die den Hans von Herzen hasst und sagt, dass Fernsehen eine Art Sterbebegleitung sei, woraufhin Hans ankündigt, ihr einen Fernsehsessel suchen zu wollen.
Schalko nimmt sich absurde Situationen, die jeder aus dem Alltag (oder aus Albträumen) kennt, und dreht an jeder Schraube, die sie haben. Ins Skurrile, ins Absonderliche, in den Horror. Ein dummschwafelnder, übergriffiger Startup-Chef („Ich muss mal für Wesen mit exponierten Geschlechtsmerkmalen“) wird von einem Finsterling mit Hut und Schal vor dem Mund entführt und durch die Nacht und einen Existentialisten-Parcours geschickt. Jeff Kanter, der Gunter-Gabriel-Zwilling mit Fransenjacke und Paillettenhemd, der sich sein Leben schön trinkt und seine Lieder („Bier für Helden“), wird von einer trinkfesten schwarzen Witwe in den Abgrund befördert.
Eine Personalerin, die gerade 38 Leute entlassen hat, bleibt irgendwo bei Regensburg hängen, wo sie gar nicht hinwollte, weil ein Mensch sich vor den Zug geworfen hat, von dem sie ahnt, dass er einer ihrer Entlassenen ist. Ein Pubertierender, der Vögel vom Himmel holt, weil er denkt, dass es Drohnen sind, lebt bei seinen Preppereltern in einem aluverschlagenen Bunker unter dem Wald. Die Gravitation, glaubt der Vater, sagt er jedenfalls seinem Sohn, würde nachlassen und alle Menschen würden herunter plumpsen. Eine These, die von zwei Männern in Uniform, die Schalko irgendwie aus seiner Geschichte über Kafkas „Schloss“ herübergerettet hat, geteilt wird.
Von der ganzen Sophisterei, die Schalkos Figuren im Absurdistan von „Warum ich?“ betreiben, von den Dialogen, die an denen Loriots geschult und am Wetzstein derer von Ingrid („Der Tatortreiniger“) Lausund angeschärft scheinen, wird einem ganz schwummrig. Und man wird – weil Charly Hübner und Katharina Thalbach, Nora Waldstätten und Bjarne Mädel ihr Unheimlichstes geben und Andrea Sawatzkie das vielleicht Unheimlichste ihrer Karriere – ganz wach. Fernsehen muss man doch als eine Form von Lebensbegleitung betrachten.
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