In ihrem Podcast „News Core: Politik bis Popkultur“ unterhalten sich Imke Rabiega und Julian Theilen über Trends und aktuelle Debatten. Das folgende Transkript ist eine gekürzte Version der Podcastfolge „Was die Debatte über Sabrina Carpenter über unser Frauenbild verrät“.

Imke: Ich bin überrascht, wie lange jetzt schon über das Cover von Sabrina Carpenters neuem Album „A Man's Best Friend“ diskutiert wird.

Julian: Auf dem Cover sieht man Sabrina Carpenter in einem kurzen Kleid auf dem Boden knien. Vor ihr steht ein Mann im Anzug, der mit der Hand ein bisschen fester und aggressiver in ihre offenen Haare greift. Sabrina dreht ihr Gesicht in die Kamera und legt eine Hand auf das Knie des Mannes. Die einfache Interpretation der Szene ist eindeutig ziemlich sexuell aufgeladen, oder? Sabrina Carpenter kniet auf allen Vieren vor dem Mann als unterwürfige Verführerin.

Imke: Ob es genauso geplant war – denn marketingtechnisch war das sicher ein Coup – oder ob es zufällig passiert ist, auf jeden Fall polarisiert Carpenter damit. Sie zieht sowohl den Hass von Feministinnen auf sich, die finden, dass die Sängerin damit misogyne Bilder verbreitet und den männlichen Blick füttert, als auch Kritik von eher prüderen Personen, die das Cover einfach anrüchig und geschmacklos finden und sogar ein alternatives Cover fordern, weil sie damit nicht klarkommen. Wieder andere verteidigen allerdings Carpenter auch, weil sie ja sexuell machen könne, was sie wolle, und das überhaupt nichts damit zu tun haben muss, wie sie politisch eingestellt ist oder gesellschaftlich. Die Debatte verrät relativ viel darüber, wie Frauen in unserer Gesellschaft immer noch gesehen werden. Was waren deine Gedanken, als du das Cover das erste Mal gesehen hast?

Julian: Als ich das gesehen habe, dachte ich an eine klassische harmlose sexuelle Fantasie. Und du?

Imke: Ich musste auch ein bisschen schmunzeln, weil Sabrina Carpenter ja in der Vergangenheit schon oft dafür kritisiert wurde, dass sie den Feminismus angeblich zurückversetzen würde. Weil sie mit ihrem Auftreten klassische Schönheitsideale spiegelt, also knappe hyperfeminine Outfits trägt, lange blonde Haare hat, sich große Barbie-Augen schminkt. Und dann provoziert sie das Ganze noch mehr, indem sie zum Beispiel bei einem Konzert in Paris so tut, als würde sie sich vom Eiffelturm vögeln lassen. Und natürlich ist das alles provokant.

Julian: Aber auch witzig.

Imke: Ja, genau. Es ist lustig und ironisch. Damit ist sie ja immerhin auch berühmt geworden. Wie sie in einem Interview im „Rolling Stone“ gesagt hat, findet sie es ja selbst relativ belustigend, dass die Menschen offenbar so leicht zu provozieren sind. Sie sagte dann noch, dass das Einzige, was Sie an dieser ganzen Situation stresst, sei, dass sie jetzt das Gefühl habe, immer weiter mit guter neuer Satire kommen zu müssen. Vielleicht hat sie die ganze Kontroverse um ihr Cover herum genauso vorhergesehen.

Julian: Ich finde es ganz schön, dass sie da so eine gewisse Leichtigkeit hineinbringt. Das zeigt ja auch, wie prüde die Kritiker sind. Auf der Künstlerinnen-Seite habe ich ein eher gegenteiliges Gefühl, und zwar, dass es eine Rückbesinnung auf die lustvollen Jahre des 20. Jahrhunderts gibt. Auch deutsche Musikerinnen haben immer weniger Angst, als unfeministisch zu gelten, wenn sie unterwürfige sexuelle Fantasien zeigen. In ihrem Song „Bad Bunnies“ hat Zsá Zsá die Zeile: „Ich find’s heiß, wenn er mir droht“. Das zeigt, dass der Fetisch und Dominanzspielchen im Sex zurück auf der großen Bühne und nicht mehr nur in Hinterzimmern versteckt sind.

Imke: Ich glaube auch, dass generell offener über Sexualität, aber vor allem über das Thema Fetisch und submissiv und dominant gesprochen wird – und zwar als Selbstermächtigung von anderen Frauen. Andere Deutsch-Rapperinnen wie Ikkimel oder Shirin David zeigen das auch. Ich habe das Gefühl, dass das Deutschrap-Publikum das auf die richtige Art und Weise aufnimmt und versteht, was da passiert. Seit dem Carpenter-Cover werden jetzt ständig auf Instagram Madonna-Videos aus den 90ern geteilt, die ja quasi eigentlich ihre ganze Karriere lang damit beschäftigt war, Sex als Mittel, um die Macht der Frau zu sichern, zurückzuerobern.

Julian: Das Sprechen über Sex ist nach wie vor die Trennlinie zwischen den Spießern und Nicht-Spießern, oder? Aber okay, das, was du gerade gesagt hast, glaubst du, das ist in anderen Ländern anders?

Imke: Das ist eine sehr ängstliche Zielgruppe. Einerseits haben, glaube ich, viele – vor allem weibliche – Fans Angst, ihren gerade erst erkämpften Feminismus wieder zu verlieren, was sie eventuell überempfindlich macht, wenn sie irgendwo den männlichen Blick wittern. In dem Fall verdrängen sie vielleicht auch, dass sich eine Frau eventuell freiwillig in dieser unterwürfigen Rolle zeigt.

Julian: Gerade in den USA gibt es aktuell einen Trend zurück zu klassisch konservativen Rollenbildern der Frauen, seien es jetzt die Tradwives oder die Abtreibungsdebatten, die auch in anderen Ländern laufen. Konservative und prüdere Einstellungen liegen im Trend. Für diese Menschen muss das Cover natürlich eine Provokation sein. Andererseits empört es auch viele Linksliberale und solche, die sich als feministisch sehen. Alle sehen jetzt in Carpenter eine Schlampe. Darauf können sich Linksliberale und Konservative einigen.

Imke: Das ist nicht mal nur ein männliches oder weibliches Phäomen. Die Kommentare sind sehr durchmischt. Das ist vielleicht auch die besorgniserregendste Erkenntnis aus der ganzen Sache: Denn warum ist sie als unterwürfige Frau eine Schlampe? Eigentlich passt sie damit ja voll in das Rollenbild von zumindest der einen Hälfte. Das liegt, glaube ich, daran, dass sie sich bewusst und selbstbestimmt als unterwürfig zeigt. Und sie damit klarmacht: Ihr könnt mich zwar objektivieren und in eure Rollenbilder stecken, aber nur, weil ich es so entschieden habe. Für die Frauen, die sie als Schlampe bezeichnen, ist das natürlich irgendwie beängstigend, wenn sie vielleicht selbst weniger frei leben. Den männlichen Blicken nimmt es die Kontrolle. Und darum geht es bei der Unterdrückung von Frauen durch Sexualität – darum, sie zu kontrollieren.

Julian: Anders ist es, wenn männliche Künstler die Kontrolle über ihre ungemütliche oder ambivalente Geschichte übernehmen. „The Weeknd“ zum Beispiel konnte über seine Drogensucht sprechen und wurde dafür als brillant gefeiert. Tyler, The Creator darf gleichzeitig soft, queer und aggressiv sein. Und wenn sich jetzt Carpenter als selbstbewusst zeigt und die Kontrolle über ihr Image behält, dann wirkt das bedrohlich. Schon seltsam.

Imke: Das ist eine interessante Frage: Warum fühlen sich so viele unwohl damit, das Cover von Carpenter zu sehen? Und warum vertrauen wir Männern mehr, dass sie ironisch und ambivalent sein können? Warum sollen Frauen am besten immer noch nur Musik machen, die zum Wohlfühlen da ist? Warum dürfen wir nicht auch brutal und abgründig sein?

Julian: Man kann es nicht fassen, dass so viele nicht bereit sind, die Ironie zu sehen, mit der Carpenter aufwartet, und mit der sie die performative Männlichkeit auseinandernimmt. Vielleicht sagt das auch etwas über das Niveau aus, auf dem in unserer Aufmerksamkeitsökonomie interpretiert wird.

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