Er schuf unsterbliche Surf-Hymnen und erhob die Popmusik zur Kunstform. Mit Brian Wilson ist eines der großen Genies verstorben. Sein Einfluss ist noch immer präsent.

Hätte Brian Wilson seine Karriere im Frühjahr 1966 beendet – er wäre als einer der großen Songschreiber der Sechziger Jahre in die Geschichte eingegangen. Doch das ist nur die eine Seite des Musikers, der wenige Tage vor seinem 83. Geburtstag gestorben ist. Brian Wilson war auch ein Klangvisionär, der das Studio bespielte wie ein Instrument und die Popmusik damit zu einer neuen Kunstform erhob – mit bis heute spürbaren Folgen.

Seinen frühen Ruhm hat er einer Gruppe zu verdanken, die aus dem familiären Musizieren hervorging. Zusammen mit seinen jüngeren Geschwistern Carl und Dennis Wilson, Cousin Mike Love und Schulfreund Al Jardine gründete Wilson die Beach Boys. Eine bis heute populäre Gruppe, die in den frühen 60ern mit unbeschwerten Hymnen über Autos, erste Liebe und das Surfen das kalifornische Lebensgefühl prägte. 

Brian Wilson stand nie auf einem Surfbrett

Dass Brian Wilson, der Schöpfer von Hymnen wie "Surfer Girl", "Catch a Wave" und dem von Chuck Berry abgekupferten "Surfin' U.S.A." selbst nie auf einem Surfboard stand, ist nur eine der vielen Facetten dieses erstaunlichen Genies. Damit bewies er: Ein kreativer Geist kann sich an alle Orte denken. 

Wo er sitzt, ist oben: Brian Wilson (Mitte) Anfang der 1960er Jahre mit den Beach Boys © Publicity Still

Die Beach Boys hatten schnell eine magische Formel für eingängige Popsongs entwickelt. "Fun, Fun, Fun", "I Get Around" oder "Barbara Ann" wurden Instant-Hits und laufen noch heute in den Oldie-Radiosendern rund um den Globus. Von Kalifornien aus eroberten die fünf in Konzerttourneen die USA und später die Welt.

Man muss für diesen Zirkus geboren sein, Abend für Abend vor kreischenden Teenagern die immer gleichen Hits zum Besten zu geben. Brian Wilson war es nicht. Anstatt die Arenen des Landes zu beschallen, wollte er sich lieber darauf konzentrieren, die Harmonien und Klänge in seinem Kopf auf Platte zu bannen. Und dafür brauchte er das Studio.

Er beeinflusste die Beatles

So trug Wilson maßgeblich dazu bei, Pop von einer auf schnelllebige Single-Hits ausgerichteten Kulturindustrie zu einer Kunstform emporzuheben, in dem das von einer Vision getragene Album im Zentrum stand. Damit beeinflusste er direkt die Beatles – und unzählige Künstler nach ihnen.

Beach Boys: "Pet Sounds" Die Wärme des kalifornischen Sommers

Das Resultat seiner Studioexperimente war "Pet Sounds", veröffentlicht 1966. Ein Album, das gleichermaßen eingängig und komplex ist, das den Pop mit bis dato ungekannten Harmonien bereichert und neue Klangexperimente wagt. Der Einfluss dieser Platte ist nicht zu überschätzen: "Pet Sounds" gilt heute als eines der besten Alben aller Zeiten. Für viele ist es das Beste. Auch auf Musikerkollegen hatte diese Platte großen Einfluss: Für die Beatles war diese Platte der kreative Ansporn zu ihrem Meisterstück "Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band". Das wiederum unzählige andere Bands inspirierte.

Als Nachfolger nahm sich Brian Wilson ein noch größeres, noch komplexeres Projekt vor. Er nannte es eine "Teenage Symphony to God". Wilson hatte den jungen Musiker und Werbetexter Van Dyke Parks kennengelernt, dessen assoziative Lyrik eine ideale Ergänzung zu seinen abgehobenen musikalischen Vorstellungen darstellte. Schnell schrieben die beiden ein ganzes Dutzend erstklassiger Songs in Brian Wilsons heimischem Musikzimmer, das dieser zur besseren Inspiration mit Sand ausgeschüttet hatte.

Collage aus unzähligen Musikschnipseln

Was Wilson klanglich vorschwebte, lässt sich anhand der Single "Good Vibrations" erahnen, einem der ganz wenigen komplett fertig gestellten Stücke aus den "Smile"-Sessions: Der Song setzte sich aus unzähligen kleinen Musikschnipseln zusammen, die in mühsamer Kleinarbeit produziert werden mussten. Für die vier Minuten von "Good Vibrations" waren acht Monate und 90 Aufnahmestunden in vier verschiedenen Studios nötig.

"Smile" von den Beach Boys Das berühmteste Lächeln der Musikwelt

Ein irrsinniger Aufwand, der die Kosten explodieren ließ. Viele hielten den Musiker für übergeschnappt und das ganze Projekt für überambitioniert. Doch dann geschah das Wunder: "Good Vibrations" bescherte den Beach Boys im Oktober 1966 ihren bis dahin größten Hit.

Das weckte gigantische Erwartungen – die Brian Wilson nicht erfüllen konnte. Während alle mit einem kompletten Album im Stile von "Good Vibrations" rechneten, schaffte es der Mastermind nicht, die himmlische Musik in seinem Kopf auf Vinyl zu bannen. Anstelle des heiß ersehnten "Smile" erschien im September 1967 "Smiley Smile" – ein schwacher Abklatsch des eigentlich geplanten Werks. "Smiley Smile" erreichte nur Platz 21 in den Charts. Es sollte bis 1976 dauern, ehe die Beach Boys wieder mit einem Album die Top Ten erreichten.

Brian Wilson erlitt einen kreativen Zusammenbruch

Schlimmer als seiner Band erging es Brian Wilson selbst: Statt mit Musik experimentierte er nun mit psychedelischen Drogen – die Folgen waren tragisch. Das Genie wurde wahnsinnig, hörte Stimmen und sah Anzeichen einer Verschwörung des Musikproduzenten Phil Spector gegen ihn. Drei Jahre lang, so will es die Legende, soll er sein Bett nicht mehr verlassen haben. Die Barenaked Ladies widmeten dieser Episode seines Lebens in den 90ern sogar einen eigenen Song, "Lyin' in bed, just like Brian Wilson did". Da war der Beach Boy schon längst zum anerkannten Genie geworden.

Auch wenn Wilson auf späteren Beach-Boys-Platten in den 70ern und dann auf Soloplatten immer wieder glänzende Momente hatte – von dem kreativen Zusammenbruch hat er sich nie wieder erholt.

Ein Bildband feiert das einflussreichste Plattenlabel der Welt

Frank Sinatra und Dean Martin Das Foto entstand 1958 in den Capitol Studios: Frank Sinatra unterstützt Dean Martin bei der Aufnahme seines fünften Soloalbums "Sleep Warm", auf der er das Orchester dirigiert. "Dino" hatte kurz zuvor seine langjährige Partnerschaft mit Jerry Lewis beendet und eine erfolgreiche Solokarriere als Filmstar angetreten. Und die Single "Memories are made of this" hatte ihm bereits den ersten Nummer-eins-Hit beschert. © Capitol Photo Archives
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Privat erlitt Brian Wilson einen noch schlimmeren Absturz. Seine Ehefrau Marilyn verließ ihn mit seinen zwei Töchtern Carnie und Wendy, die später mit der Girlgroup Wilson Phillips kurzzeitig erfolgreich wurden. Wilson geriet dagegen für ein Jahrzehnt in die Fänge des umstrittenen Psychotherapeuten Eugene Landy, der sogar die Vormundschaft über den Musiker beantragt hatte. Erst 1992 wurde diese unselige Verbindung beendet – der Film "Love & Mercy" mit John Cusack und Paul Giamatti erzählt von dieser Lebensphase.

Und Brian Wilson schloss Frieden mit seiner Vergangenheit. Er tourte wieder, führte seine alten Alben auf – und schaffte 2004 doch noch das Unmögliche: Er veröffentlichte "Smile". Privat erlebte der Künstler auch noch ein spätes Happy End. 1995 heiratete er erneut. Zusammen mit Melinda Ledbetter adoptierte er fünf Kinder. Am 30. Januar 2024 starb Ledbetter im Alter von 77 Jahren. 17 Monate später folgt ihr Brian Wilson. Seine Musik wird auch weiter erklingen. Love& Mercy!

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