Sylvie Courvoisier hat Courage. Die Pianistin trägt an einem Konzert in Washington ein T-Shirt mit dem Aufdruck «Immigrants are not criminals. The president is». Und das ausgerechnet im Kennedy Center, das der US-Präsident als Vorsitzender kontrolliert. «Nach meinem Konzert sagten die Leute, ich sei sehr mutig, so was zu tragen. Die könnten doch an meine Türe kommen. Und ich dachte: Das ist doch verrückt.»

Ihr Entsetzen kommt direkt auf die Bühne

Für die politische Lage ihrer Wahlheimat findet die 56-jährige saftige Worte. Sie sorge sich, dass die USA in den Faschismus abgleiten, sagt Sylvie Courvoisier Ende Mai am Schaffhauser Jazzfestival. Es ist typisch für diese Künstlerin, dass sie ihr Entsetzen zu Musik macht. Auf der Bühne liest sie Worte vor, die Präsident Trump aus Regierungsdokumenten streichen lässt: Frauen, Rassismus, Klimakrise. Ihnen setzt Courvoisier ihre, wie sie sagt, Lieblingswörter entgegen: Toleranz, Gerechtigkeit, Integrität. Sie liest sie laut, erhält dafür Applaus und fängt mittendrin an zu spielen.

Legende: Im Solo, im Duo oder als Ensemble: Ihr Album Chimaera nahm Sylvie Courvoisier 2022 mit tatkräftiger Unterstützung auf. Veronique Hoegger

Die Energie ihrer Kritik geht nahtlos über in die Musik. Mit den Unterarmen traktiert sie den Konzertflügel, wechselt impulsiv vom harten Hämmern zum weichen Anschlag. Dank ihrer tief verinnerlichten Spieltechnik kann Sylvie Courvoisier ihre Gefühle mühelos in Musik übersetzen. Was sie spielt, gehört gesagt. Nichts wirkt überflüssig.

Raus, um zu wachsen

Sylvie Courvoisier ist die Gemeinschaft sehr wichtig. Zu Beginn ihrer Karriere in der Westschweiz habe ihr diese gefehlt. «Heute erlebe ich das anders. In den späten 90ern gab es aber in der Romandie kaum experimentelle oder avantgardistische Szenen.» In Lausanne studiert sie klassisches Piano, dann Jazz in Montreux. Und erlebt als junge Frau viel Neid.

Legende: Raffinierte Kompositionen: Sylvie Courvoisier zeigt sich im Duo mit der amerikanische Gitarristin Mary Halvorson (rechts) virtuos und spielfreudig. Veronique Hoegger

«Ich habe viel Aufmerksamkeit bekommen und manche sagten, das liege nur daran, dass ich einen schönen Hintern hätte.» Auch deshalb verlässt sie die Schweiz. «Ich musste raus, um zu wachsen.» Ihrer Liebe folgt Courvoisier 1998 nach New York. Und fängt dort nochmal neu an. «Niemand kannte mich, was ein Vorteil war.»

Karriere in New York

Mit ihrem Mann, dem Jazz- und Avantgarde-Geiger Mark Feldman, arbeitet sie eng zusammen, ebenso wie mit dem Saxofonisten und Komponisten John Zorn. Und auch nach der Scheidung fühlt sie sich wohl in ihrem New Yorker Umfeld, ihrer «musikalischen Familie». Im Lauf ihrer Karriere entwickelt Sylvie Courvoisier mit anderen Musikern und solo ihre ganz eigene Musik zwischen Jazz, Blues und Neuer Musik. Eine oft frei improvisierte Musik, dank ihrer Bildhaftigkeit auch für ungeübte Ohren zugänglich.

Inspiration dafür bietet ihr oft die Literatur. «Beim Lesen tauche ich ein in andere Welten, in fremde Emotionen.» Dank der Literatur könne sie Mitgefühl für andere üben, «so werde ich ein besserer Mensch.»

Rückkehr in die Schweiz?

Dass sie nun den Granz Prix Musik erhält, ist für Sylvie Courvoisier eine grosse Überraschung. «Diese Auszeichnung berührt mich sehr. Die Schweiz denkt noch an mich, ich habe hier einen Platz.»

Angesichts der politischen Lage denke sie manchmal darüber nach, zurückzukehren. Solange es geht, wolle sie aber in New York bleiben und helfen, sagt Courvoisier, die zwei minderjährige Immigranten im Alltag unterstützt. An ihren Konzerten werde sie weiterhin kein Blatt vor den Mund nehmen, auch in den USA nicht.

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