Zuerst kommt die Wohnung, dann der Rest: "Housing First" hilft Menschen unkompliziert beim Neuanfang. Ein Berliner Projekt nimmt Wohnungslose in den Blick, die oft übersehen werden: Frauen mit Kindern.
Branka Schmidt hat wenig Zeit. "Drei Kinder, zwei Katzen, zwei Wellensittiche", zählt sie atemlos auf, wen sie - neben sich selbst - noch alles unterbringen musste, als sie wohnungslos wurde. Das war im Winter Ende 2022.
Innerhalb kürzester Zeit musste die Familie die Wohnung verlassen - und Schmidt wusste nicht, wohin. Auf dem leer gefegten Berliner Mietmarkt hatte sie keinen Ersatz gefunden.

Branka Schmidt suchte lange nach einem Zuhause für sich und ihre Kinder.
Lange Wartelisten für "Housing First"
Die heute 49-Jährige sitzt im Büro von "Housing First für Frauen", einem Projekt des Sozialdienst katholischer Frauen (SkF). Die Mitarbeiterinnen verschaffen wohnungslosen Frauen ein Zuhause, egal in welcher wirtschaftlichen Lage sie sich befinden. Arbeit, Finanzen, Papierkram - das alles kann erst einmal warten. "Housing First" eben. Es gibt zwei Wartelisten, eine für Frauen mit und eine für Frauen ohne Kinder. Außerdem gibt es noch "Housing First" für Männer.
Gegenüber von Schmidt sitzen Christin Weyershausen, Teamleiterin des Projekts, und Sozialarbeiterin Lena Wild. Beide hören erst einmal einfach nur zu. Branka Schmidt erzählt, wie sie damals kurz vor Weihnachten ihre Wohnung verlor. Ein denkbar ungünstiger Zeitpunkt, um eine neue zu finden - direkt vor den Tagen "zwischen den Jahren". "Schade um den Weihnachtsbaum", sagt Schmidt trocken.
Zwei Monate keine Miete, dann kam die Gerichtsvollzieherin
Noch wenige Monate zuvor hatte nichts darauf hingedeutet, dass es einmal so weit kommen würde. Schmidt war Chefin einer Baufirma mit fast 50 Mitarbeitenden. Dann hätten die Auftraggeber aufgehört zu zahlen. Sie ging zum Jobcenter. Das aber habe die Miete zwei Mal nicht überwiesen - ein Kündigungsgrund.
Kurze Zeit später kam die Gerichtsvollzieherin. Nach zwei Wochen Aufschub war dann endgültig Schluss. Schmidt, ihre zwei leiblichen Kinder und eine Adoptivtochter mussten raus. "Wir sind erst einmal bei Freunden untergekommen", sagt sie. "Ich habe nächtelang geheult."
Schwarzer Humor - vermischt mit Tränen
Früher hätten immer wieder Freunde bei ihr gewohnt. Die meisten aber wollten oder konnten ihr nun nicht helfen.
Eine Freundin half ihr, nahm sie und die Kinder auf. Und die zwei Katzen. Das gab Probleme. Kater Simba habe die Designermöbel markiert, sagt sie. "Und Daisy hat ihre Jungen auf dem Zobelmantel meiner Freundin gekriegt. Die hat so laut geschrien, das hat die ganze Straße gehört." Kurz darauf mussten Schmidt, die Kinder und die Katzen ausziehen. Sie erzählt ihre Geschichte mit schwarzem Humor, muss immer wieder lachen. Zwischendurch aber kommen Tränen.
350 Wohnungsbewerbungen und keine Zusage
350 Bewerbungen für Wohnungen habe sie in dieser Zeit geschrieben - ohne Erfolg. Es folgte eine fast anderthalbjährige Odyssee durch Notunterkünfte und vermittelte Zimmer, bezahlt vom Land Berlin. Häufig sei es unterster Standard gewesen, wenn überhaupt, sagt Schmidt. Ein Zimmer für alle, Gemeinschaftsküche, Konflikte mit Betreibern und anderen Bewohnern.
In dieser Zeit sei der Vater der leiblichen Kinder auch keine große Hilfe gewesen, sagt Schmidt. Der Stress habe ihr zugesetzt, die Gesundheit angegriffen. "Und schreiben Sie das auch auf!", ruft sie. "Zwischendurch kamen auch noch meine Wechseljahre." Wieder lacht sie. Doch die Verzweiflung dieser Zeit ist ihr anzumerken.
Ein trauriger Brief - und endlich eine Wohnung
Irgendwann stieß sie auf das Projekt "Housing First". Dort landete sie auf der Warteliste. In ihrer Verzweiflung habe sie dann einen "sehr traurigen Brief" an das Projekt geschrieben, erinnert sie sich. Ihr Glück: Kurz danach war sie in der Liste weit genug nach oben gerutscht. Sie und ihre Kinder durften in eine Drei-Zimmer-Wohnung ziehen. Dort wohnen sie immer noch.
Inzwischen geht sie in Teilzeit arbeiten, das Amt übernimmt noch immer einen Teil der Miete. "Housing First" ist sie bis heute dankbar: "Ich liebe diese Leute hier bis zum Mond und zurück!", sagt sie und schaut über den Tisch zu Weyershausen und Wild.

Das Team von "Housing First" half Branka Schmidt bei der Wohnungssuche.
Verdeckte Wohnungslosigkeit bei Frauen
Schmidt ist kein Einzelfall, Wohnungslosigkeit könne fast jede treffen, sagt Sozialarbeiterin Lena Wild. Es gebe zahlreiche Faktoren, welche - oft unvorhergesehen - einer Familie die wirtschaftliche Grundlage entziehen könnten: Erwerbslosigkeit einerseits, aber Schwangerschaft und Kinder könnten auch dazu beitragen.
Wie viele Frauen tatsächlich betroffen sind, lässt sich kaum abschätzen. "Es gibt keine Zahlen dazu", sagt Wild. Ein Grund dafür sei die sogenannte verdeckte Wohnungslosigkeit. Bei Frauen ist diese mutmaßlich relativ häufig. Die Betroffenen haben selbst keine Wohnung, kommen aber immer wieder bei Bekannten unter. Und manchmal auch bei Männern, die die Notsituation der Frauen ausnutzen - auch sexuell. Eine Folge davon: Wohnungslose Frauen fallen weniger ins Auge. Sie schlafen im Zweifelsfall nicht auf Parkbänken, sind aber dennoch ohne eigene Wohnung.
"Würde, Wärme, Ruhe"
Teamleiterin Weyershausen erzählt, dass das Projekt vor sieben Jahren gegründet wurde. Zunächst hätten sie sich fast ausschließlich um kinderlose, wohnungslose Frauen gekümmert, seit 2022 auch um Frauen mit Kindern. "Vorher dachten wir, das ist gar nicht das Problem", so Weyershausen.
Inzwischen sei klar, dass ziemlich genau die Hälfte der Frauen, die auf den Wartelisten landen, Kinder haben. Manche von ihnen seien schon länger obdachlos. Komme dann noch ein Kind dazu, mache das die Situation nicht einfacher. Eine eigene Bleibe sei da oft der erste und unbedingt notwendige Baustein für ein neues Leben. "Die Wohnung wirkt stabilisierend", fügt Sozialarbeiterin Wild hinzu. Sie biete "Schutz, Selbstbestimmung, Würde, Wärme, Ruhe".
Viele der Frauen, denen durch das Projekt geholfen werden konnte, kommen auch nach Jahren noch vorbei. Manche bräuchten auch immer wieder mal Hilfe. "Wir sind das soziale Netz", beschreibt es Weyershausen. Besonders für Frauen, die bis auf ihre eigenen Kinder keine weitere Familie haben.
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