Bislang hat sich im "Herbst der Reformen" wenig bewegt. Die Erwartungen an den heutigen Koalitionsausschuss sind also groß. Kanzler Merz verspricht schnelle Beschlüsse beim Bürgergeld und zur Stärkung der Autoindustrie. Was wird diskutiert?

Die mögliche Themenliste ist lang: SPD, CDU und CSU werden heute ab 17 Uhr voraussichtlich über eine Reform des Bürgergelds, die Kranken- und Pflegeversicherung und die schwächelnde Autoindustrie sprechen. Die genaue Agenda sei aber "noch im Fluss", sagte Steffen Bilger, der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, gestern.

Die Ausgangslage ist denkbar schwierig, wie Bundeskanzler Friedrich Merz vorab in der ntv-Talkshow mit Pinar Atalay eingestand. "Ich hätte mir schon vorstellen können, dass wir manche Entscheidungen früher getroffen hätten." In der Koalition mit den Sozialdemokraten sei es nicht einfach, sagte Merz. Die SPD werde aber umgekehrt sagen, mit CDU und CSU sei es nicht einfach. Eine Koalition müsse sich zusammenfinden. Es müsse weiter Vertrauen aufgebaut werden. Zuletzt waren SPD und Union beim Thema Wehrdienst erneut aneinander geraten. Nun bemühen sich beide Seiten um Harmonie.

Anders als beim vergangenen Koalitionsausschuss soll es Bilger zufolge heute "schon darum gehen, Entscheidungen zu treffen". Merz hatte die Ministerien gemahnt, bis zum 15. Oktober möglichst viele Gesetzentwürfe durch das Kabinett zu bekommen, damit der Bundesrat noch bis Jahresende seine Zustimmung geben kann.

Was ist beim Bürgergeld geplant?

Ganz oben auf der Agenda dürfte das Bürgergeld stehen. Kanzler Merz rechnet mit einer schnellen Einigung - möglicherweise noch in dieser Woche. "Wir sind jedenfalls so weit, dass wir kurz davor sind, es auch in dieser Woche zu entscheiden", sagte der CDU-Vorsitzende dem Sender RTL. Spätestens bis zur nächsten Woche werde eine Einigung auch mit den Bundestagsfraktionen stehen.

Zum einen soll es um eine Umbenennung der Sozialleistung gehen. "Das Wort Bürgergeld wird nicht mehr da sein", sagte Merz. Das Gesetz zu der Reform werde den Namen "Grundsicherungsgesetz" tragen.

Hauptpunkt dürften jedoch die Einsparungen seien, die vor allem die Union vorantreibt. Die Zahl der Bürgergeldbeziehenden müsse "deutlich reduziert" werden, sagte der Kanzler gegenüber RTL. Zuvor hatte Merz in einem Interview mit SAT.1 von Einsparungen von zehn Prozent der Bürgergeld-Kosten gesprochen - das entspräche etwa fünf Milliarden Euro im Jahr.

Der CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann sagte in der ZDF-Sendung "Berlin direkt": "Es sind sehr viele Milliarden, da bin ich mir ganz sicher" - eine konkrete Zahl nannte er auf Nachfrage nicht.

Wissenschaftler sind bei den Einsparpotenzialen allerdings skeptisch. "So viel kann man gar nicht sanktionieren, um auf fünf Milliarden zu kommen", sagte Arbeitsmarktforscher Enzo Weber im Gespräch mit tagesschau.de.

In den Blick nehmen will die Regierung das Schonvermögen und Bürgergeldbeziehende, die die Zusammenarbeit mit dem Jobcenter verweigern, sagte Merz.

Auch die SPD-Parteivorsitzende Bärbel Bas befürwortet, "Mitwirkungspflichten und Sanktionen anzuschärfen". Das sei ein Instrument, das sich auch die Jobcenter wünschten - denn die Mitarbeiter könnten erst über den Kontakt mit den Arbeitslosen Erfolge erzielen, sagte Bas im Bericht aus Berlin.

Die Tragweite der Sanktionen könnte dem Kanzler zufolge zum Knackpunkt werden. So werde diskutiert, ob Sanktionen bereits beim ersten oder erst beim zweiten Verstoß verhängt werden sollten. Ungeklärt sei auch noch, ob man eine Eingliederungsvereinbarung schließe oder nicht. 

Welche Pläne hat die Regierung für die Autoindustrie?

Neben dem Bürgergeld wird die Autoindustrie wahrscheinlich das Hauptthema sein. Die Union betonte gestern, sie hoffe, dass man sich vor dem "Autogipfel" morgen auf eine gemeinsame Position mit der SPD einigen könne. "Wir müssen jetzt ein starkes Paket schnüren, um die deutsche Automobilindustrie in die Zukunft zu führen und Arbeitsplätze zu sichern", sagte der SPD-Co-Vorsitzende Lars Klingbeil. Die Automobilindustrie sei mitten in der Transformation. "Alle wissen, dass die Zukunft elektrisch ist."

SPD-Co-Vorsitzende Bärbel Bas pocht derweil auf Standort- und Arbeitsplatzgarantien, nur dann könne es Investitionen in Standorte oder Batterien geben. In den Belegschaften der Unternehmen sei das Vertrauen in die Verlässlichkeit und Planbarkeit der Politik verloren gegangen, sagte sie nach einem Treffen mit Betriebsräten aus der Autobranche. Die Unternehmen hätten den Wandel hin zu Elektroautos begonnen. "Wir wollen weiter auf dem Pfad der E-Mobilität bleiben und dafür die Rahmenbedingungen setzen", betonte sie.

Hitzig dürfte es besonders bei den Gesprächen über das geplante Verbrenner-Aus werden. Bundeskanzler Merz sprach sich vorab erneut für eine Abschaffung des ab 2035 geltenden Verbots in der EU aus. "Meine klare Vorstellung ist, dass wir dieses sogenannte Verbrennerverbot in der Form nicht aufrechterhalten", sagte Merz im ntv-Talk mit Pinar Atalay. Es gehe um Technologieoffenheit. "Ich möchte nicht, dass Deutschland zu den Ländern gehört, die an diesem falschen Verbot festhalten."

SPD-Generalsekretär Tim Klüssendorf sagte, für ihn stehe das Verbrenner-Aus 2035 nicht infrage. Es gehe um Planungssicherheit. Ähnlich äußerte sich SPD-Umweltminister Carsten Schneider.

Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge sagte: "Merz bremst mit seinem rückwärtsgewandten Kurs die deutsche Autoindustrie aus." Während weltweit der E-Antrieb Fahrt aufnehme, würden deutsche Hersteller auf der Stelle treten. Die ständigen Debatten über den richtigen Zeitpunkt für den Umstieg auf E-Mobilität schadeten der Industrie, sagte Dröge.

2022 war beschlossen worden, dass ab dem Jahr 2035 in der EU keine neuen Autos mit Benzin- oder Dieselmotor mehr zugelassen werden sollen. Ziel ist es, die CO2-Emissionen im Verkehrssektor zu senken. Die Union will das Verbrenner-Aus kippen. 

Was ist mit Wirtschaft und Bürokratieabbau?

Vor allem die wirtschaftliche Lage Deutschlands bereitet der Regierung Sorgen. "Nach mehr als zwei Jahren Rezession fehlt noch immer ein echter Konjunkturimpuls", heißt es etwa im Geschäftsklimaindex der Wirtschaftsauskunftsdatei Creditreform.

Die schwarz-rote Regierung will die Wirtschaft unter anderem durch einen Abbau der Bürokratie ankurbeln. Geplant ist in der "Modernisierungsagenda" eine Senkung der Bürokratiekosten um 25 Prozent, das entspricht rund 16 Milliarden Euro. Der Personalbestand des Bundes soll um 8 Prozent gesenkt werden.

Auch bei den Investitionen müsse sich etwas tun, fordert der Beraterkreis von Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche. Das Gremium mahnt, Verschuldungsspielraum ausschließlich für mehr Zukunftsinvestitionen einzusetzen. Aktuell würden diese genutzt, "um Löcher im Haushalt zu stopfen", kritisierte Gremiumsmitglied und Wirtschaftsexpertin Veronika Grimm.

Die Berater schlagen unter anderem vor, das Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung zu koppeln, die Rente ab 63 Jahren abzuschaffen sowie Bestandsrenten nur wenig zu erhöhen. Das Papier dürfte vermutlich ebenfalls heute diskutiert werden.

Welche Ansätze gibt es bei Kranken- und Pflegeversicherung?

Die schwarz-rote Koalition muss Merz zufolge harte Entscheidungen in der Pflege- und Krankenversicherung treffen. Beide dürften nicht teurer werden, sagte er im RTL-Interview: "Wir werden in Zukunft in unserem Land für die Altersversorgung, für die Krankenversicherung, für die Pflegevorsorge aus eigener Kraft mehr leisten müssen." Er wiederholte seinen Vorschlag, eine höhere Eigenbeteiligung über kapitalgedeckte Systeme zu organisieren.

Bundesgesundheitsministerin Nina Warken schloss zuletzt auch Leistungskürzungen nicht aus. Ohne Gegenmaßnahmen werde das Defizit schon ab 2027 in den zweistelligen Milliardenbereich rutschen, sagte die CDU-Politikerin.

Derzeit arbeitet eine von Warken berufene Expertenkommission an ersten Vorschlägen zur Stabilisierung der Finanzen. Die Ergebnisse sollen im Frühjahr 2026 vorgelegt werden. Entscheidungen der Koalition zum Thema sind deshalb heute eher unwahrscheinlich.

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