Nachdem vor einer Veranstaltung mit dem damaligen Kanzlerkandidaten Merz Schmierereien auftauchten, wurde die Wohnung einer 17-Jährigen durchsucht. WDR-Recherchen zeigen: Es gab keinen stichhaltigen Verdacht.

Es ist der 1. April, gegen 6 Uhr morgens. Fünf Polizeibeamte klingeln an der Wohnungstür der Familie Kruschinski in Menden im Märkischen Kreis. Mirko Kruschinski, SPD-Vorsitzender im Ort, öffnet die Tür und ist geschockt: "Auf einmal stehen da fünf Leute in Schusswesten, mit schweren Pistolen."

Sie zeigen ihm den Durchsuchungsbeschluss. Er gilt seiner Tochter Nela Kruschinski, damals noch 17 Jahre alt und ebenfalls bei der SPD aktiv. Sie ist die Juso-Vorsitzende in Menden. Kurz vor ihrem Abitur nehmen die Beamten ihren Laptop, das Handy und mehrere Notizbücher mit.

"Wer möchte mir schaden?"

Die Staatsanwaltschaft Arnsberg hat den Verdacht, sie könnte für mehrere Graffiti im Ort verantwortlich sein. Farbschmierereien, mit denen ein paar Wochen vorher im Bundestagswahlkampf der damalige Kanzlerkandidat Friedrich Merz und die CDU attackiert worden waren. "Merz aufs Maul" und "Antifa in die Offensive" stand etwa an der Schützenhalle in Menden-Huingsen, als am 26. Januar 2025 Merz dort in Begleitung seiner Ehefrau Charlotte auftrat. In der Nacht davor waren die Parolen an die Wand gesprüht worden.

Nela Kruschinski bestreitet die Tat: "Ich habe mich gefragt 'Wer möchte mir schaden?' Weil ich mir nicht vorstellen konnte, dass man irgendwie auf mich gekommen sein könnte. Weil ich einfach nichts damit zu tun hatte."

Nela Kruschinski, Juso-Vorsitzende in Menden

Zeugenaussage "nicht geeignet"

Tatsächlich ist der Durchsuchungsbeschluss gegen sie inzwischen als rechtswidrig bewertet worden. Die Entscheidung des Landgerichts Arnsberg liegt dem WDR-Magazin Westpol vor. Die Recherchen zeigen: Es hat gegen Nele Kruschinski keinen einzigen stichhaltigen Verdacht gegeben.

Der Durchsuchungsbeschluss stützte sich demnach auf zwei Hinweise: die vage Aussage einer Zeugin, sie hatte zwei jüngere Personen nachts in der Nähe der Schützenhalle gesehen, eine Frau und einen Mann. Erkannt hatte sie beide nicht. Eine Aussage, die das Landgericht Arnsberg als "ersichtlich nicht geeignet" bewertet hat.

Der zweite Hinweis ging anonym bei der Polizei in Hagen ein: Ein Zettel, auf dem dazu aufgefordert wird, zwei Personen "ins Visier" zu nehmen, nämlich Nela Kruschinksi und ihren Bekannten. Weitere Informationen lieferte der Zettel nicht. Von wem er kam, ist nicht bekannt.

Anonymer Hinweis kann "reine Dununziation" sein

Auch der Strafrechtsprofessor Till Zimmermann von der Universität Düsseldorf beurteilt diese Hinweise als substanzlos: "Wenn ich das sehe als ein Richter, muss ich zu dem Schluss kommen, wir haben es hier gar nicht mit einer Verdächtigen zu tun." Ein anonymer Hinweis in solcher Form könne eine "reine Denunziation" gewesen sein. Das müssten Polizei und Staatsanwaltschaft berücksichtigen.

Ohnehin sieht Zimmermann den Durchsuchungsbeschluss als nicht verhältnismäßig an, noch dazu gegen eine Minderjährige. Der Tatvorwurf stellt aus seiner Sicht "eine Bagatelle" dar, "es geht um Graffiti". Das Bundesverfassungsgericht habe das in der Vergangenheit eindeutig so bewertet.

Charlotte Merz bestreitet, Einfluss genommen zu haben

Warum der Ermittlungsrichter am Amtsgericht Arnsberg den Durchsuchungsbeschluss trotzdem unterschrieb, bleibt offen. Es handelt sich nach Westpol-Informationen um einen Richter auf Probe, der noch nicht fest einem Gericht zugeordnet ist.

Charlotte Merz beim Wahlkampfauftritt der CDU in Menden am 26.01.2025

Pikant: Die Direktorin des Amtsgerichts ist die Ehefrau des Bundeskanzlers und CDU-Chefs, Charlotte Merz. Sie bestreitet auf Westpol-Anfrage, in dem Fall Einfluss genommen oder etwas von dem Durchsuchungsbeschluss gewusst zu haben.

Bewerten dürfe sie den rechtswidrigen Beschluss auch nicht: "Die Verfahrensführung und die Entscheidungsfindung sind vom Kernbereich richterlicher Unabhängigkeit umfasst." Inhaltlich überprüfen müsste das das nächsthöhere Gericht.

Landgericht sieht "rechtsstaatlich bedenkliches" Vorgehen

"Ich bin jetzt seit fast 30 Jahren anwaltlich tätig. So etwas habe ich noch nicht erlebt", sagt Thomas Kutschaty zu dem Fall. Der SPD-Landtagsabgeordnete und frühere NRW-Justizminister vertritt Nela Kruschinski als Verteidiger. Kutschaty hatte Beschwerde gegen den Durchsuchungsbeschluss eingelegt, erst am Amtsgericht Arnsberg, das die Durchsuchung genehmigt hatte. Danach mit Erfolg eine Instanz höher beim Landgericht.

Was Kutschaty auch empört, ist die Art, wie der Beschluss zustande gekommen ist. Laut Gesetz muss die Staatsanwaltschaft einen Antrag auf Hausdurchsuchung stellen. Doch laut WDR-Informationen fehlt ein solcher Antrag in den Akten. Die Polizei Hagen hatte die Durchsuchung bei Gericht lediglich "angeregt" und dazugeschrieben, die Staatsanwaltschaft schließe sich dem an. Der Ermittlungsrichter soll gegenüber dem höheren Gericht später eingeräumt haben, dass er gar keinen Kontakt zur Staatsanwaltschaft hatte. Das alles bewertet das Landgericht als "rechtsstaatlich bedenklich".

Verteidiger Thomas Kutschaty

Verteidiger Kutschaty sieht "Totalversagen der Staatsanwaltschaft"

Auf WDR-Anfrage rechtfertigt die Staatsanwaltschaft das Vorgehen. Dass der Antrag durch die Polizei übermittelt wird, sei zulässig, etwa wenn es eilig sei. So könne "ein möglicherweise zeitraubender Aktentransport vermieden" werden.

Strafrechtler Prof. Till Zimmermann nennt das einen "netten Versuch, der hier nachträglich zur Rechtfertigung unternommen" werde. Von einer Eilbedürftigkeit könne keine Rede sein: Die Schmierereien hatten im Januar stattgefunden, der Durchsuchungsbeschluss wurde einen Monat später erlassen und erst einen weiteren Monat später vollstreckt.

Nela Kruschinskis Anwalt Kutschaty spricht von einem "Totalversagen der Staatsanwaltschaft". Hätte sie die Hinweise sorgfältig geprüft, hätte ein rechtswidriger Eingriff verhindert werden können. Kutschaty hat außerdem Zweifel an der Unabhängigkeit eines Polizeibeamten, der in den Ermittlungen auftaucht.

Strafrechtler Prof. Zimmermann mit Reporter Arne Hell

"CDU hat Situation für sich ausgeschlachtet"

Es handelt sich um Wolfgang Exkler, CDU-Mitglied im Mendener Stadtrat, stellvertretender Bürgermeister und früher einmal Landtagsabgeordneter. Exler ist außerdem im Vorstand des Schützenvereins, dessen Halle mit den Beleidigungen beschmiert worden war. Er ließ sich von der Presse mehrmals mit dem örtlichen Bundestagsabgeordneten und Generalsekretär der NRW-CDU Paul Ziemiak vor den Graffiti fotografieren, unter anderem als diese auf CDU-Kosten übermalt wurden.

Nach Westpol-Recherchen befragte Exler als Kriminalbeamter im Januar die Zeugin, deren Aussage wertlos war. Er unterschrieb danach einen Ermittlungsbericht. Die Polizei Hagen betont auf Anfrage, dass Exler niemals mit Ermittlungen im eigentlichen Sinne beauftragt worden war. Für befangen hält Exler sich nicht. Auf Westpol-Anfrage sagte er am Telefon, dass er über die Hausdurchsuchung gar nicht informiert gewesen sei. Er wisse auch nicht, von wem der anonyme Hinweis gekommen sei.

Bei Mirko Kruschinski, in dessen Haus die Durchsuchung stattgefunden hatte, bleibt ein ungutes Gefühl: "Wir steckten damals mitten im Wahlkampf. Und die CDU war sehr schnell dabei, die Situation an der Schützenhalle für sich selber auszuschlachten. Wenn der maßgebliche Sündenbock dann noch irgendwo aus dem SPD-Spektrum kommt, dann ist die Story natürlich perfekt."

Unsere Quellen:

  • Beschluss des Landgerichts Arnsberg
  • eigene Recherchen der Autorin und des Autors
  • Antwort Polizei Hagen
  • Antwort Amtsgericht Arnsberg
Quelle: wdr

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