Die Deutschen sollen nach dem Willen des Kanzlers mehr und länger arbeiten. Doch viele Menschen sind in Teilzeit beschäftigt. Woran liegt das? Und was plant die Bundesregierung jetzt?
"Wir müssen in diesem Land wieder mehr und vor allem effizienter arbeiten" - die Marschrichtung, die Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) im Frühjahr beim Wirtschaftstag seiner Partei ausgab, ist deutlich. Auch Wirtschaftsministerin Katherina Reiche legte kürzlich in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung nach: "Der demografische Wandel und die weiter steigende Lebenserwartung machen es unumgänglich: Die Lebensarbeitszeit muss steigen."
Damit handelte sie sich sogar Kritik aus der eigenen Partei ein. "Wer als Wirtschaftsministerin nicht realisiert, dass Deutschland eine hohe Teilzeitquote und damit eine niedrige durchschnittliche Jahresarbeitszeit hat, ist eine Fehlbesetzung", sagte Christian Bäumler, der Vize-Vorsitzende des CDU-Sozialflügels.
Denn ein Drittel aller Jobs in Deutschland wird momentan nur in Teilzeit erledigt, wie eine Statistik der EU zeigt. Damit gehört Deutschland zu den Spitzenreitern in Europa. Nur in den Niederlanden, der Schweiz und Österreich haben in den ersten Monaten dieses Jahres noch mehr Menschen in Teilzeit gearbeitet.
Frauen tragen oft negative Konsequenzen
Sind das nun alles "low performer", die unter den Erwartungen bleiben? "Ganz im Gegenteil", meint Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas (SPD). "Häufig leisten diese Menschen unbezahlte Care-Arbeit. Wir reden hier über Menschen, die Kinder erziehen oder Angehörige pflegen, und das sind übrigens überwiegend Frauen, die das leisten." Und dafür negative Konsequenzen tragen, wie eine absehbar niedrige Rente.
Betroffen ist fast jede zweite Frau, die in Deutschland arbeitet. Bei Männern ist die Teilzeitquote in den vergangenen Jahren zwar auch angestiegen, liegt mit rund zwölf Prozent allerdings noch weit darunter - ähnlich wie in anderen EU-Staaten.
Bas spricht sich dafür aus, dass sich das ändert: "Ich bin sehr dafür, dass auch Männer mehr in die Care-Arbeit gehen. Das heißt, sich auch die Zeit nehmen für Betreuung und Versorgung. Das Gute ist, dass auch viele junge Väter das heute wollen." Jeder zweite sogar, wie im Väter-Report der Bundesregierung von 2023 nachzulesen ist. Doch nur jedem Fünften gelingt das auch.
Klassische Rollenverteilung oft begünstigt
Viele junge Paare landen ungewollt in der klassischen Rollenverteilung: Er in Vollzeit, sie in Teilzeit. Bettina Kohlrausch, leitende Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlerin am gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Institut, überrascht das nicht: "Viele Rahmenbedingungen, die dieses Konstrukt befördern, existieren immer noch. Zum Beispiel Minijobs, die es schwer machen, Arbeit auszuweiten. Oder das Ehegattensplitting, das steuerliche Anreize für dieses Konstrukt schafft."
Hinzu kommen mangelnde Kita-Plätze, an denen die Politik eigentlich etwas ändern möchte. Union und SPD wollen zudem das Elterngeld reformieren, sodass Väter mehr Anreize bekommen, alleine Elternzeit zu nehmen. Und: Arbeitgeber sollen Frauen mit Prämien dazu motivieren, wieder in Vollzeit zu gehen - vom Staat steuerlich gefördert.
Holger Schäfer, Arbeitsmarktexperte am arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft, hält das grundsätzlich für einen guten Ansatz, der aber ohne Wirkung bleiben könnte: "Meine Vermutung ist, dass Betriebe, die eine solche Prämie zahlen, nicht sehr häufig sind. Solche Prämien sind auch eher nicht üblich. Ich habe davon jedenfalls selten gehört."
Flexiblere Arbeitszeiten für gerechte Verteilung?
Doch selbst wenn künftig mehr Frauen in Vollzeitjobs arbeiten würden, wäre ihnen damit kaum geholfen, befürchtet Ricarda Lang von den Grünen im Bundestag. Mit Blick auf eine möglichst gerechte Verteilung der Care-Arbeit in Beziehungen sagt sie: "Die Antwort kann nicht einfach nur sein: Beide arbeiten 40 Stunden. Denn daneben verschwindet ja die ganze Sorgearbeit nicht, und häufig führt das dazu, dass die Frau das noch nebenher macht."
Lang fordert deshalb ein ganz neues Verständnis von Vollzeitarbeit, mit deutlich flexibleren und reduzierten Arbeitszeiten für Mann und Frau. Aktuell scheint das politisch kaum denkbar. Gut möglich aber, dass der Fachkräftemangel Unternehmen und Politik bald schon zum Umdenken zwingt.
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