Diesen Auftritt hatte sich der Kanzler anders vorgestellt: Merz möchte Erfolge seiner Regierung präsentieren. Doch die gescheiterte Verfassungsrichterwahl dominiert seine erste Sommerpressekonferenz.
Gut gelaunt betritt Friedrich Merz den prall gefüllten Raum der Bundespressekonferenz. Zahlreiche Kameraleute drängen sich vor dem Podium. Gleich zu Beginn betont der Kanzler in seiner ersten Sommerpressekonferenz die innen- und außenpolitischen Herausforderungen seiner Regierung. Viele Ziele seien bis zur letzten Sitzung des Bundestages vor einer Woche erreicht worden.
Doch die Ereignisse genau an diesem Tag um die gescheiterte Verfassungsrichterwahl werfen bis heute Schatten. Auch weil Union und SPD einen Ausweg aus der Situation bisher nur spärlich ausgeleuchtet haben. "CDU, CSU und SPD werden eine ganz normale Arbeitsbeziehung haben", sagt Merz im Fazit seiner einführenden Worte. "Da gehören Rückschläge dazu."
In der folgenden halben Stunde weicht dem Kanzler die gute Laune sichtlich aus dem Gesicht. Denn das Interesse an einem Rückschlag der Koalition ist zum Start größer als an der bisherigen Regierungsarbeit.
Es geht um mögliches Führungsversagen, Vertrauen und um eine Lösung in der Diskussion um die SPD-Kandidatin für das Verfassungsgericht, Frauke Brosius-Gersdorf. "Wir sprechen in der Koalition darüber, wie wir weiter vorgehen", sagt Merz mehrfach. Er vertraue darauf, dass die Bundestagsfraktionen von Union und SPD das "gut machen werden".
Standpunkte scheinen unvereinbar
Die Wahl am vergangenen Freitag wurde kurzfristig abgesetzt, weil eine Mehrheit für Brosius-Gersdorf unwahrscheinlich wurde. Zwischen 50 und 60 Abgeordnete der Union wollten offenbar gegen die Rechtswissenschaftlerin stimmen. Die nötige Zweidrittelmehrheit war dadurch mehr als unsicher. Jens Spahn, Fraktionsvorsitzender der Union, wird vorgeworfen, das zu spät erkannt zu haben. Es war nach der Kanzlerwahl Anfang Mai schon das zweite Mal, dass eine erwartete Mehrheit nicht zustande kam.
Auf die Frage, ob Spahn der richtige Mann sei, antwortete Merz bereits im ARD-Sommerinterview: "Eindeutig, ja." Diese Einschätzung bekräftigt der Kanzler heute. Aus Teilen der Union ist zu hören, dass Spahn sich vor der Richterwahl zu sehr mit anderen Dingen beschäftigt hat. Stichwort: Maskenaffäre.
Aus den Reihen der SPD heißt es immer wieder, man stehe 100-prozentig hinter Brosius-Gersdorf. Ihren Auftritt bei Markus Lanz am Dienstag empfanden viele als beeindruckend. "Ich hatte aus Zeitgründen keine Gelegenheit, diese Sendung zu sehen", gibt Friedrich Merz heute zu Protokoll.
Sein Vizekanzler Lars Klingbeil und SPD-Generalsekretär Tim Klüssendorf stellen sich öffentlich vor ihre Kandidatin und bekräftigen, sie weiter unterstützen zu wollen. Abgeordnete der Union, darunter Christoph Ploß aus Hamburg oder Elisabeth Winkelmeier-Becker aus Nordrhein-Westfalen, äußerten sich im Laufe der Woche medial, dass Brosius-Gersdorf für sie weiter nicht wählbar sei.
Löst Brosius-Gersdorf den Streit?
Ein Schlupfloch für die verfahrene Situation hat Brosius-Gersdorf bei ihrem Lanz-Auftritt selbst geliefert. Sie wolle nicht für eine Regierungskrise verantwortlich sein und schloss einen eigenen Rückzug der Kandidatur somit nicht aus.
Anders als Merz hat Innenminister Alexander Dobrindt die Sendung gesehen. Auf den CSU-Politiker wirkte sie laut dessen Aussage sehr reflektiert. "Sie wird sich ihre Gedanken machen, wie man mit so einer Situation umzugehen hat", sagte Dobrindt im ARD-Morgenmagazin. Ein Appell, der den Ball Brosius-Gersdorf zuspielt.
Kaum zwei Stunden später sagt Merz in der Sommerpressekonferenz: "Wir wissen nicht, wer die Kandidatinnen und Kandidaten für eine Wiederholungswahl sein werden." Auch wenn die Union Brosius-Gersdorf wohl nicht zur Verfassungsrichterin wählen wird, wird ihr offenbar ein wichtiges Urteil zugetraut: selbst zurückzuziehen.
Obwohl die Koalitionäre öffentlich selbstverständlich nichts von einer Regierungskrise wissen wollen. Den Umgang mit der 54-Jährigen in den vergangenen Tagen kritisiert Merz als "völlig inakzeptabel". Die Kritik sei teilweise unsachlich und polemisch gewesen.
Merz rät zur Abkühlung über den Sommer
Ob für die SPD ein Rückzug ihrer Kandidatin am Ende gesichtswahrend genug ist, scheint fraglich. Die Empörung in der Fraktion über die gescheiterte Wahl ist groß. Schließlich haben die Abgeordneten auch bei Zweifeln wie etwa beim Familiennachzug für eine vereinbarte Regierungsmehrheit gesorgt. Dass Teile der Union nun ihre Zustimmung zu Brosius-Gersdorf verweigert haben, kostet Vertrauen. Merz betont heute erneut, dass Abgeordnete ihrem Gewissen verpflichtet seien - auch bei Richterwahlen.
Die Diskussion jedenfalls kann der Kanzler heute nicht beenden. Ruhe bewahren, lautet die Marschrichtung - Gespräche möglichst außerhalb der Öffentlichkeit. "Abkühlen über die Sommerpause ist in jedem Fall eine gute Empfehlung", so Merz. Der Kanzler selbst wird in zwei Wochen in die Sommerferien gehen. In kurze, wie er sagt. "Danach kommen wir zurück und wollen Deutschland gut regieren."
Darüber hat Merz nach dem halbstündigen Blick auf die Verfassungsrichterwahl, die immerhin etwa ein Drittel seines Auftritts dominiert hat, auch noch sprechen können. Seine erste Sommerpressekonferenz 74 Tage nach Beginn seiner Amtszeit hatte sich der Bundeskanzler sicher trotzdem anders vorgestellt.
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