Dauerhafte Beflaggung vor öffentlichen Gebäuden: In Ostdeutschland wird neuerdings mit der Bundesfahne Politik gemacht. Vorreiter ist die AfD, die nebenbei versucht, Diversitätssymbole zu verbieten.
Es war ein Sommer voller Euphorie. Schwarz-Rot-Gold flatterte im Takt der Fangesänge, schmückte Autos, Fenster, Gesichter. Die Fußball-WM 2006 brachte Deutschland sportlich auf Platz drei und emotional in einen neuen Umgang mit nationaler Symbolik. Vom "Sommermärchen" war die Rede, als könne das Land sich durch das Fußballfest vom Schatten der Geschichte befreien. Es war ein Moment, in dem Nationalstolz nicht nach Abgrenzung roch, sondern nach Zusammenhalt, Tanz und Straßenfest.
Heute, fast zwei Jahrzehnte später, scheint dieses Farbenmeer wieder hochaktuell - doch befeuert das Thema nicht das Stadion, sondern die Landespolitik.
Die Thüringer Entscheidung
Am 17. Juni 2025 hat das Thüringer Kabinett beschlossen, dass ab heute an allen landeseigenen Gebäuden dauerhaft drei Flaggen gehisst werden sollen: die Europaflagge, die Deutschlandflagge und die Thüringer Landesflagge. "Damit setzen wir ein Zeichen für unsere Verankerung in Europa, unseren demokratischen Staat und unsere regionale Identität", so Ministerpräsident Mario Voigt (CDU) im Anschluss an die Entscheidung.
Ein schlichtes Symbol - mit starker politischer Aufladung. Denn nur zwei Tage später brachte die AfD im Thüringer Landtag einen eigenen Gesetzentwurf zur Abstimmung, der explizit die Europaflagge ausschließen und zudem die Beflaggung mit Pride- oder NGO-Symbolen verbieten wollte. Begründung: "Die dauerhafte Beflaggung soll nicht durch ideologisch motivierte Zeichen verfremdet werden." Die Bundesflagge solle allein die staatliche Souveränität abbilden als "ein deutliches Bekenntnis gegen das supranationale Projekt Europa", heißt es im Gesetzentwurf.
Die AfD witterte vielmehr Botschafts-Piraterie: Sie habe ihren Gesetzentwurf lange vor der Entscheidung der Landesregierung angekündigt und eingebracht, hieß es aus den Reihen der Fraktion. Faktisch richtig. Sachlich egal, denn der Entwurf fand keine Mehrheit im Parlament.
Nicht ohne Europaflagge
Andreas Bühl, CDU-Fraktionsvorsitzender im Thüringer Landtag, sieht die Sache mit der Europaflagge anders als die AfD und weist auf wesentliche Unterschiede hin: "Die Europaflagge symbolisiert unser Friedensprojekt. Die Beflaggung öffentlicher Gebäude macht unsere Institutionen sichtbar und stärkt das Gefühl von Zusammengehörigkeit." Für Bühl ist die Drei-Flaggen-Lösung nicht Symbolpolitik, sondern "ein Zeichen der Verbundenheit in einem föderalen und vereinten Europa".
Und Christian Herrgott, CDU-Landrat im thüringischen Saale-Orla-Kreis, betont: "Wir sollten zu unseren Nationalsymbolen stehen. Und wir sollten sie keinem überlassen, der sie für eigene Zwecke instrumentalisieren will." Schwarz-Rot-Gold sei identitätsstiftend - aber nur, wenn es mit demokratischen Inhalten gefüllt werde.
Kein Fahnenmeer in Thüringen zu erwarten
Die Entscheidung in Thüringen fußt auf einer Novelle der sogenannten Beflaggungs-Verordnung. Diese trägt, darauf verweist neben den regierungstragenden Brombeer-Fraktionen auch das für Kommunales zuständige Innenministerium, der kommunalen Selbstverwaltung Rechnung. Kurzum: Das Land kann und will Städte, Gemeinden und Landkreise nicht zur Dauerbeflaggung ihrer öffentlichen Gebäude zwingen, sondern sie lediglich darum bitten.
Neu ist, dass Kommunen, die dauerhaft beflaggen wollen, nicht mehr die Erlaubnis des Landesverwaltungsamts dafür einholen müssen. Unterm Strich kann das dazu führen, dass manche Landkreise oder Kommunen zwar dauerhaft die Deutschland- und/oder Thüringenflagge, aber nicht die Europafahne hissen.
Flagge statt Förderung?
Doch es geht nicht nur um Europa. In Sachsen, konkret im Kreis Bautzen, wurde jüngst ein Programm zur Demokratiebildung gestrichen. Gleichzeitig soll vor Verwaltungsgebäuden die Bundesflagge wehen. Kritiker sehen darin einen gefährlichen Tausch: Symbol statt Substanz. Eine Lokalzeitung formulierte zugespitzt: "Flagge ersetzt Demokratieförderung". Landrat Udo Witschas (CDU) verteidigt die Maßnahme als sichtbares Zeichen für Heimatliebe.
Ein Blick nach Sachsen-Anhalt zeigt, wie weit die Debatte fortgeschritten ist. Dort wurde im Landkreis Jerichower Land auf Antrag der AfD beschlossen, dauerhaft die Bundesflagge vor Schulen und öffentlichen Gebäuden zu hissen. Die CDU stimmte zu. Fünf Landkreise haben inzwischen nachgezogen. Kritiker sehen darin eine schleichende Normalisierung rechter Symbolpolitik - über die Hintertür des Lokalparlaments.
Soziologe warnt vor Illusionen
Wilhelm Heitmeyer, einer der profiliertesten Soziologen Deutschlands, sieht die Entwicklung mit Sorge. Bereits 2006, während des "Sommermärchens", warnte er vor einem unreflektierten "Entlastungspatriotismus". In einem aktuellen Interview sagte er: "Was sich damals leicht und freundlich anfühlte, war im Kern oft ahistorisch. Das kollektive Gedächtnis blendete den Nationalismus aus - und beschränkte sich auf Party."
Heute sieht Heitmeyer eine gefährliche Rückentwicklung: "Die Nationalfarben werden wieder als Distinktionsmerkmal genutzt. Statt offener Identität erleben wir Symbolik, die ausgrenzt. Wer die Regenbogenfahne verbietet, sendet eine Botschaft - gegen Pluralität." Heitmeyers Forderung: Statt immer neuer Fahnenmasten brauche es politische Bildung und soziale Teilhabe. "Ein Staat, der sich seiner selbst sicher ist, muss nicht täglich Flagge zeigen."
Kritik kommt auch von anderer Stelle. Ronald Hande, innenpolitischer Sprecher der Linken im Thüringer Landtag, spricht von "reiner Symbolpolitik". Er sagt: "Weder Fahnen noch Masten sanieren unsere Schulen, noch schaffen sie mehr Lehrkräfte oder beseitigen Investitionslücken."
Die entscheidende Frage
Am Ende steht die zentrale Frage: Wem gehört Schwarz-Rot-Gold? Ist es das Symbol einer offenen, vielfältigen Nation, die sich zu Demokratie und Europa bekennt? Oder wird die deutsche Trikolore zum Banner einer geschlossenen Gesellschaft, die auf Abgrenzung setzt?
An der Antwort auf diese Fragen hängt jedenfalls mehr als nur die Beflaggung von Behörden und Rathäusern.
Über das Thema Beflaggung wird am Mittwochabend in der Talkshow "Fakt Ist!" aus Erfurt im MDR diskutiert. Zu Gast sind Thüringens Linke-Co-Landeschefin Katja Maurer, der Vorsitzende der CDU-Landtagsfraktion Andreas Bühl und der Politikwissenschaftler Andreas Anter von der Universität Erfurt.
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