Erdbeben bei der schwedischen Premiummarke: Das neue Volvo-Flaggschiff ES90 kommt als Crossover-Fastback ohne Kombi. Auch wenn die Fans klassischer schwedischer Luxus-Limos und -Laster Trauer tragen: Schon der erste Nobel-Volvo der Nachkriegszeit war revolutionär anders. Damals hieß das Flaggschiff 164.

Ob er die Volvo-Welt nachhaltig verändern wird? Mit dem vollelektrischen Markenflaggschiff Volvo ES90 überraschen die Schweden im Premiumsegment - und treffen einen Nerv: keine klassisch-elegante Limousine und kein großer Kombi, sondern ein modisch hochgelegtes Crossover-Fastback mit Heckklappe.

Volvo und noble Kombis, das war für Skandinavien-Fans lange ein Synonym im automobilen Oberhaus, und auch die luxuriösen nordischen Limos sind Legende, wie die lange Ahnenreihe der Typen 164, 260, 760, 960, S90 und V90 zeigt. Doch in Göteborg wusste man schon immer, wie wichtig Revolutionen für den Weg in die Zukunft sind.

"Ein Volvo für die Reichen"

Schon der erste neu entwickelte Sechszylinder der Nachkriegszeit war 1968 Provokation pur: "Wir wollten ihn nicht Rolls-Royce für die Armen nennen, denn er ist ein Volvo für die Reichen", warb der Autobauer ausgerechnet in diesem Jahr des gesellschaftlichen Umbruchs für den Volvo 164, der mit seinem mächtigen, chromglänzenden Kühlergrill an englischen automobilen Hochadel erinnerte.

Gleichzeitig zeigte die feine Limousine klar erkennbar ihre Ableitung vom kantigen Vierzylinder 144. So versuchte Volvo, dem schwedischen Sozialkodex gerecht zu werden, in dem Prunk und Protz verpönt waren. Ein Spagat, der dem teuren Typ 164 so gut gelang, dass er gleich zwei schwedischen Königen - Gustav VI. Adolf und seinem bis heute regierenden Thronfolger Carl XVI. Gustaf - als Staatskarosse diente und auf dem Heimatmarkt als bessere Alternative zu Mercedes 280 SE oder BMW 2800 goutiert wurde.

Plötzlich war Volvo Mitglied im Premium-Club - und wagte die nächste Disruption: Mit dem 1975 lancierten Modell 265 avancierte der funktionale Familienkombi zum frühen Sechszylinder-Lifestyle-Laster mit Sicherheitsimage, Mercedes versuchte mit dem T-Modell (W123) zu folgen.

Neudefinition von Luxus als Ziel

Luxus neu zu definieren, speziell für die USA, den größten Premiummarkt der Welt, war seit Ende der 1950er Jahre das Ziel von Volvo. Doch erst mit der Baureihe 140/160 gelang es Volvo-Chefdesigner Jan Wilsgaard, ein unverwechselbares Markendesign zu schaffen. Dies mit langlebigen, kantig-klassischen Linien und dem Verzicht auf modisches Bling-Bling à la Lincoln oder Cadillac.

So prägten die viertürigen, kastenförmigen Limousinen 144/164 und der riesige Kombi 145 - ein 165 Kombi entstand nur in Kleinstserie - das Image von Volvo als Hersteller nahezu unverwüstlicher, sicherer Familienfahrzeuge. Unter der Haube des Spitzenmodells 164 arbeitete 1968 ein 3,0-Liter-Sechszylinder-Benziner mit zunächst nur 96 kW/130 PS. Dieses Aggregat sollte der "Lagom" genannten Glücksformel der nordischen Gesellschaften gerecht werden: "Nicht zu wenig, nicht zu viel, gerade richtig".

Im Gegensatz zu hubraumstarken amerikanischen V8 oder süddeutschen Tempobolzern setzte der Volvo 164 auf Talente als entspannter Gleiter. Ein harmonisches soziales Miteinander und ein respektvoller Umgang mit der Umwelt waren den Skandinaviern wichtig, weshalb Volvo der Sicherheitsforschung und der Emissionsreduzierung Priorität einräumte.

So war der Volvo 164 nicht nur eines der ersten Serienfahrzeuge der Welt mit Abgaskatalysator, sondern er setzte auch Maßstäbe mit Sicherheitsgurten vorn und hinten inklusive Sitzbelegungserkennung sowie einem neuartigen 2x3-Bremssystem, bei dem die Vorderräder von beiden Bremskreisen verzögert wurden. Eigenschaften, die sich Volvo gut bezahlen ließ. So kostete der Volvo 164 fast das Doppelte des Volvo 140 und mehr als vergleichbare Benz oder BMW.

Für die Weiterentwicklung zur 260-Familie genügte 1975 eine andere Front- und Heckgestaltung. So blieben die von den Fans liebevoll "Ziegelstein" genannten Flaggschiffe bis Mitte der 1980er Jahre in Form, nun sogar als elitäres Bertone-Coupé 262 C, als luxuriöser Kombi 265 und als zweitürige Limousine 262 speziell für wohlhabende US-Kunden, die einen bescheidenen Auftritt bevorzugten.

Volvo 265 - Kombi für die Upper Class

Ganz anders der Volvo 265, der den Kombi schick für die Upper Class machte. Kombis à la Country Sqiure, Vista Cruiser oder Station Wagon galten in den USA zwar als das Familien- und Freizeitauto schlechthin. Dennoch fühlten sich die wenigsten Amerikaner mit einem Kombi angemessen gekleidet, wenn sie zum Beispiel in die Metropolitan Opera in New York fuhren. Das änderte Volvo mit dem 265, der eine europäische Noblesse signalisierte, die nur noch vom Mercedes T-Modell übertroffen wurde.

In Sachen Insassenschutz blieb die Baureihe 260 jedoch führend, was die US-Verkehrssicherheitsbehörde NHTSA bestätigte, als sie 1976 den baugleichen Vierzylinder 240 zur Referenzbaureihe ihrer Sicherheitsforschung ernannte. Davon profitierte auch die gefragte Repräsentationslimousine 264 TE für die politische Prominenz diesseits und jenseits des Eisernen Vorhangs.

"Er kann fliegen!"

"Ja, er kann fliegen!" Mit dieser frechen Behauptung, platziert unter dem Bild eines in den Himmel aufsteigenden Volvo Turbo der neuen Flaggschiffserie 740/760 für die 1980er Jahre, brachte sich der sonst für seine Werbung mit Sicherheitsmotiven bekannte schwedische Hersteller ins Stammtischgespräch. Ein Gag, den die von Jan Wilsgaard eigenwillig in Form gebrachte Volvo 700er-Baureihe gar nicht nötig hatte. Denn schon als Limousine mit fast senkrecht stehender Heckscheibe war ihr die Aufmerksamkeit sicher.

Wer sich beim Anblick dieses Fondfensters an einen Kombi erinnert fühlte, lag richtig. Tatsächlich hatte Volvo zunächst die Kombiversionen von 760 und 740 entwickelt und daraus die Viertürer abgeleitet.

Ihren fulminanten Verkaufsstart, er bescherte Volvo 1982/83 das beste Produktionsergebnis aller Zeiten, verdankten die 700er aber einmal mehr dem Mix aus innovativer Sicherheitstechnik, Robustheit und viel Raum auf allen Plätzen. Der bei Bertone gebaute exklusive 780 überraschte dagegen mit einem optionalen Dieselmotor - damals ein mutiger Schritt im Coupé-Segment.

So viel Erfolg animierte die Göteborger, ihrer bis zum neuen ES90 letzten Flaggschiff-Reihe mit Hinterradantrieb gleich zwei große Modellpflegen zu spendieren: Als Volvo 940/960 starteten die Topmodelle in die 1990er Jahre und als Duo S90/V90 (S wie "Sedan" und V wie "Vielseitigkeit") standen sie 1996 für eine neue Namensgebung.

Alles anders wurde 1998 mit dem Volvo S80. Mit Frontantrieb und runden Formen folgte er dem Mainstream, und wer einen Kombi wollte, musste nun auf den V70 ausweichen, der sich allerdings die Plattform mit der größten Volvo Limousine und dem ersten Volvo-SUV vom Typ XC90 teilte.

Während die zweite Generation des Volvo S80 ab 2006 mit einem 4,4-Liter-V8 von sich reden machte, begnügt sich das 2016 eingeführte Doppel Volvo S90/V90 mit Vierzylindermotoren, die dafür elektrifiziert bis zu 335 kW/455 PS abgeben.

Ein Spitzenwert, den der vollelektrische Volvo ES90 Twin Motor im Jahr 2025 geradezu pulverisieren wird: 500 kW/680 PS verspricht das neue Topmodell mit den markentypischen Thors-Hammer-Leuchten. Bescheidenheit war gestern, sogar in Schweden. Was trotzdem weiterhin zählt, sind Sicherheit und Nachhaltigkeit, hier soll der Volvo ES90 die Pole Position verteidigen.

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