1. Der Ernst der Lage
Die Lage bei Volkswagen ist aktuell nicht existenzbedrohlich, aber dennoch äußerst ernst – insbesondere im Hinblick auf die strukturelle Wettbewerbsfähigkeit des Konzerns. Dass VW nun im dritten Jahr in Folge für das erste Halbjahr einen deutlichen Gewinnrückgang vermelden muss, stellt einerseits ein deutliches Warnsignal dar. Andererseits zeigen die ausgewiesenen absoluten Gewinngrößen im Kontext eines aktuell schwierigen Markt- und Wettbewerbsumfelds sowie laufender Restrukturierungsmaßnahmen, dass der Konzern über eine gewisse Robustheit verfügt. Die Einschnitte beim operativen Ergebnis und der EBIT-Marge verdeutlichen jedoch, dass Maßnahmen zur Effizienzsteigerung und zur Optimierung der strukturellen Kostenbasis weiter intensiviert werden müssen. Perspektivisch könnte dem Konzern die aktuell verhältnismäßig stabile Auftragslage sowie der gestiegene Anteil an Elektrofahrzeugen zugutekommen. Dennoch wird das Unternehmensergebnis weiterhin durch eine überkomplexe Konzernstruktur sowie durch technologische Rückstände – etwa im Bereich des autonomen Fahrens, der Batterietechnik und der Softwarekompetenz – belastet. Hinzu treten geopolitische Abhängigkeiten, insbesondere von China und den USA, die erhebliche und nur schwer kalkulierbare Risiken sowie Unsicherheiten für die Unternehmensplanung mit sich bringen.
2. Abhängigkeit von US-Zöllen und dem chinesischen Markt
Die Abhängigkeit von externen Faktoren ist bei Volkswagen besonders ausgeprägt und schwächt zunehmend die strategische Souveränität des Konzerns. China bleibt zwar der wichtigste Einzelmarkt für Volkswagen, doch die Konzernmarken verlieren dort seit Jahren an Boden – insbesondere gegenüber der erstarkten einheimischen Konkurrenz. Der Konzern ist daher mehr denn je gefordert, seine Produkte konsequent an marktspezifische Anforderungen anzupassen und den technologischen Rückstand in zentralen Bereichen wie Batterietechnik, Software, autonomes Fahren und User Experience zumindest auszugleichen. Parallel dazu belasten US-Zölle auf Fahrzeuge und Komponenten aus Europa und China die Profitabilität erheblich. Die Forderung nach politischer Entlastung durch Zollverhandlungen ist nachvollziehbar, doch strategisch bleibt Volkswagen angesichts der Unberechenbarkeit der Trump-Administration verwundbar. Zwar wurden Restrukturierungsmaßnahmen – etwa durch den Aufbau regionaler Fertigungsstandorte, die Ausgliederung komplexitätssteigernder Tochtergesellschaften oder den Ausbau digitaler Kompetenzen – angestoßen, doch ihre Umsetzung verläuft langsamer, als es die geopolitische Dynamik erlauben würde. Insgesamt bleibt offen, ob Volkswagen derzeit über ausreichend technologische und strukturelle Stärke verfügt, um externen Schocks und geopolitischen Risiken wirksam und zukunftssicher zu begegnen.
3. Strategien zur Elektromobilität
Volkswagen hat den Übergang zur Elektromobilität früh angekündigt und mit der ID-Produktreihe vergleichsweise konsequent umgesetzt. Der Konzern verweist dabei auf einen gestiegenen Marktanteil von Elektrofahrzeugen in Europa auf 28 Prozent sowie ein deutliches Absatzplus in diesem Segment. Doch dieser Erfolg relativiert sich insbesondere vor dem Hintergrund der anhaltend schwachen Margen bei Elektrofahrzeugen. Hinzu kommt, dass die Verzögerungen bei der Entwicklung der modularen SSP-Plattform sowie das Debakel um das Software-Tochterunternehmen Cariad die Elektrosparte substanziell zurückgeworfen haben. Besonders kritisch ist in diesem Zusammenhang die lange Zeitachse zur Einführung vollelektrischer Fahrzeuge im Preissegment unterhalb von 25.000 Euro: Sollte Volkswagen erst ab 2027 mit einem solchen Modell auf den Markt kommen, besteht die Gefahr, dass der relevante Wettbewerb zu diesem Zeitpunkt bereits weitgehend entschieden ist. Gleichwohl ist das Potenzial zur Aufholjagd grundsätzlich vorhanden. Der Konzern verfügt über starke Marken, ausgeprägte Fertigungskompetenz und eine globale Präsenz. Entscheidend wird jedoch sein, ob Volkswagen den kulturellen und technologischen Wandel zur Elektromobilität auch intern konsequent vollzieht – und nicht nur in strategischen Zielbildern formuliert.
4. Einsparungen und Stellenstreichungen
Die geplanten Einsparungen in Höhe von 15 Milliarden Euro bis 2030 und der damit verbundene Abbau von rund 30.000 Arbeitsplätzen mögen kurzfristig zur Entlastung der Bilanz beitragen, greifen jedoch möglicherweise zu kurz, um die tiefgreifenden, historisch gewachsenen Strukturprobleme des Volkswagen-Konzerns nachhaltig zu lösen. Die eingeleiteten Maßnahmen dokumentieren zwar Handlungsbereitschaft, doch ein Stellenabbau ohne gleichzeitige Produktivitätssteigerung und Innovationsoffensive könnte sich sogar kontraproduktiv auswirken – insbesondere, wenn wertvolles Know-how und die Motivation der Belegschaft verloren gehen. Gleichzeitig steht der Konzern vor der Herausforderung, operativ schlanker, technologisch agiler und markenseitig klarer positioniert zu werden. Möglicherweise bedarf es dafür eines noch radikaleren Umbaus: einer entschlackten Modellpalette, weniger interner Markenüberschneidungen, einer konkurrenzfähigen Digitalstrategie und vor allem einer Führungskultur, die geeignet ist, die Innovationsdynamik des Unternehmens auf ein neues Niveau zu heben.
5. Ist VW noch zu retten?
Ja – Volkswagen ist noch zu retten. Der Begriff "Rettung" setzt voraus, dass eine existenzielle Gefahr erkannt und mit umfassenden Maßnahmen beantwortet wird. Der Volkswagen-Konzern ist trotz Gewinneinbruch finanziell noch robust, dennoch nicht unverwundbar. Insofern befindet sich der Konzern in einer kritischen Phase: Der technologische Rückstand bei Software und Elektromobilität, die strukturelle Komplexität im Konzern und die Reaktionsgeschwindigkeit auf externe Schocks sind kritische Prüfsteine, ob Volkswagen selbst Gestalter seiner Zukunft sein wird.
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